Schlecht aufgelegt (German Edition)
jeden Fall war er das, Paul hatte seine Stimme sofort erkannt.
«Mein Name ist … Müller», sagte Paul, denn Müller war ein Name, der ihm im Moment nahe lag. «Von der Berliner Allgemeinen.»
«Nie gehört», erwiderte Bürger misstrauisch und mit einem deutlich abfälligen Grundton. «Und ich kenne die Redakteure der Berliner Allgemeinen», fügte er hinzu. Paul brauchte einen Moment für seinen nächsten Zug, aber Bürger ließ ihm keine Pause.
«Woher haben Sie diese Nummer?», wiederholte er noch einmal. Darin lag eine Drohung, ganz deutlich.
Paul fühlte sich unter Druck gesetzt, und das war falsch, denn er war es doch, der angerufen hatte und der hier den Druck auszuüben hatte, so läuft das nicht, so ist das nicht richtig, dachte er.
Der bislang so schweigsame Kuli schien ein ähnliches Empfinden zu haben, denn sein Kinn schob sich vor, und er hob die rechte Faust. «Wir wissen, was Sie vorgestern Abend getan haben», krächzte er und dachte, dass es das jetzt war, dass er jetzt mit drin war in der Nummer, dass er da jetzt nicht mehr rauskam und dass sein Satz einem sehr dämlichen Filmtitel sehr nah war.
«Was? Wer sind Sie, verdammt noch mal?», bellte Henning Bürger. Der Telefonhörer drohte zu verglühen.
Paul hatte keine Wahl, er ging endgültig in die Offensive.
«Sie können sich das auf jeden Fall sparen, hier, die Telefonnummer zurückzuverfolgen und diesen ganzen Kram», sagte er. «Wir wissen, wie das läuft. Wir sind in einer Telefonzelle», fügte er mit einem kleinen, triumphierenden Lachen hinzu.
«Ja, sehr lustig», entgegnete Bürger ungerührt. «Von welchem Satiremagazin sind Sie denn?»
«Hat sich was mit Satiremagazin», pampte Paul zurück. Er wusste, was er jetzt brauchte, war Struktur. Struktur, Struktur, Struktur. Hatte schon sein Deutschlehrer immer gesagt. Ein heller Kopf, der Paul, aber Struktur brauchte er.
«Sagt Ihnen der Name Lisa Gerhard was?», fragte er also. Man musste ja mal zum Punkt kommen.
Eine lange Pause entstand. Paul und Kuli schauten sich an. Was mochte Henning Bürger wohl gerade tun? Dachte er angestrengt nach? Schlug er mit dem Kopf auf eine Tischplatte? Rief er im Hintergrund die Polizei?
«Nein», sagte der Politiker schließlich. Aber es klang gar nicht mehr so autoritär und arrogant wie zuvor, eher kleinlaut. Sie hatten einen wunden Punkt berührt, das war sicher. Paul beschloss, dass dies der Zeitpunkt für die nächste Pointe war. Zack zack zack.
«Sie haben sie umgebracht», sagte er und betonte jedes Wort. Erneutes Schweigen. Dann hörten sie ein Klacken in der Leitung. Bürger hatte aufgelegt.
«War vielleicht ein bisschen zu direkt.» Kuli zuckte mit den Schultern und öffnete die Tür der Telefonzelle. Paul hängte den Hörer ein und trat nach draußen.
Der Nachthimmel offenbarte trotz der schreienden Helligkeit der Leuchtreklamen in ihrer Umgebung ein paar vereinzelte Sterne. Ein Multiplex-Kino entließ sein Publikum in die Nacht, die schön und kühl zu werden versprach. Paul schlug den Mantelkragen hoch und fröstelte. Ein Mann verließ das Erotik 2 Go, seine schwammige Körperlichkeit kam Paul auf Anhieb bekannt vor. Er blinzelte irritiert und stieß Kuli mit dem Ellenbogen an.
«Ach nee», sagte Kuli und grinste. Martin Schulte war das, Martin Schulte, der zwar nach links und rechts schaute, nicht aber geradeaus und sie daher nicht wahrnahm.
«Ja, doch», sagte Paul und freute sich. In diesem Moment hatte ihm das Schicksal eine kleine Perle der Versöhnung geschickt. Er wusste, dass er am Freitag extra lange aufbleiben würde, dass er irgendwas ganz Ausuferndes, Sinnloses tun würde, vielleicht in die lange Nacht der Museen gehen, sich einreihen in die Horde der Teilzeit-Bildungsbürger, die dachten, sie täten ihrem Intellekt etwas Gutes, wenn sie einmal im Jahr die kulturellen Begegnungsstätten Berlins aufsuchten, quasi im Schnelldurchgang Kunst tankten wie die Amerikaner Europa in zehn Tagen; irgendetwas Bescheuertes wie das würde er am Freitagabend tun, denn am Samstag würde er ausschlafen, weil er nämlich seine Samstags-Spätschicht zurückgewinnen und Martin Schulte für ihn die Frühschicht machen würde. Und zwar nicht nur am Samstag, sondern auch die komplette folgende Woche. Martin Schulte stand immer noch vor dem Eingang des Erotik 2 Go, leicht schwankend stand er da und wollte sich eine Zigarette anzünden, fand aber sein Feuerzeug nicht. Paul zückte sein Handy, fotografierte Martin Schulte vor seinem
Weitere Kostenlose Bücher