Schlecht aufgelegt (German Edition)
pittoresken Hintergrund, dann trat er nach vorn und gab ihm Feuer.
H enning Bürger verließ sein Arbeitszimmer, in das er sich geschlichen hatte, kaum, dass er zu Hause angekommen war. Er schlüpfte aus seinen Slippern, schlich auf Socken in die Küche und öffnete den Kühlschrank, ohne das Licht vorher anzumachen. Milch, dachte er. Milch. Er öffnete den Klappverschluss des Tetrapaks und nahm einen tiefen Zug.
«Na, wie war dein Tag, Schatz?», fragte eine kühle Stimme hinter ihm, eine Stimme, von der er gehofft hatte, sie wäre mitsamt ihrer Besitzerin bereits ins Bett gegangen.
«Es geht», sagte er knapp, wischte sich den Milchbart ab und schloss den Kühlschrank. Sie standen nun wieder völlig im Dunkeln, doch er konnte ihre Silhouette sehen; eine Silhouette, die er immer noch sehr attraktiv fand, gerade wenn wenig Licht darauffiel.
«Es ist spät.» Sie machte keine Anstalten, den Lichtschalter zu betätigen, obwohl sie direkt im Rahmen der Tür stand.
«Du weißt doch, der Wahlkampf.» Er überlegte, ob er nicht einfach an ihr vorbeigehen sollte. Und ob er sie dabei berühren sollte oder lieber nicht.
«Wie lange bist du schon da?», fragte sie und konnte die Verletzung in ihrer Stimme nicht verbergen. «Die Kinder haben nach dir gefragt.»
Er knöpfte sein Jackett zu, ohne es zu bemerken. «Weiß ich nicht», antwortete er wahrheitsgemäß. «Vielleicht ein, zwei Stunden. Länger nicht. Ich war noch beim RBB, habe ich doch erzählt, hast du dir das gar nicht angesehen?»
«Nein», sagte sie.
«Die Kinder waren sicher schon im Bett, als ich gekommen bin», sagte er.
«Nein, waren sie nicht», sagte sie. «Sie wollten unbedingt auf dich warten. Jakob hat sehr geweint, als ich ihn schlafen geschickt habe.»
«Verstehe», sagte er. «Ich musste noch ein paar Akten … wegen morgen.»
«Natürlich», sagte sie. «Ist ja Wahlkampf.»
«Ja. Ich finde das ja auch nicht schön.»
Er hielt inne und überlegte, ob er es ihr sagen sollte. Und entschied sich dafür. Sie war schließlich seine Frau.
«Susanne, in Wirklichkeit, also, es geht mir nicht so gut», begann er und klang dabei so gar nicht nach dem dynamischen Wahlkämpfer, der heute noch auf vier Großveranstaltungen und in einem Fernsehstudio Reformen und Fortschritt gefordert hatte.
Seine Frau schnaubte. «Das wird Berlin aber gar nicht gerne hören. Superman geht es nicht so gut, wer soll denn da die Welt retten?»
«Lass das jetzt mal», versuchte er sich zu verteidigen. «Ich meine es ernst. Ich … ich weiß gar nicht, wie ich’s sagen soll.»
Ihre Stimme wurde noch ein paar Grad kälter. «Sag’s einfach.»
«Da waren so ein paar Spinner. Keine Ahnung, woher die meine Nummer haben. Aber … wir haben ein Problem.»
Sie schaltete das Licht an, ganz unvermittelt. Henning Bürger kniff die Augen zusammen und hielt schützend die rechte Hand davor.
«Was hast du wieder angestellt?», fauchte sie. Sie trug ein Nachthemd und die indischen Hausschuhe, die er ihr irgendwann zu Weihnachten geschenkt hatte. Vor vier Jahren? Vielleicht auch vor sechs. Oder fünf. Wahrscheinlich fünf. Es konnte auch ihr Geburtstag gewesen sein. Nicht Weihnachten.
«Was soll denn das?», fragte er und wartete darauf, dass sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten. «Bist du auf meiner Seite oder nicht?»
Susanne Bürger schwieg. Sie hatte sich abgeschminkt, während er noch das glättende Make-up seines Fernsehauftritts trug. Im Moment sah sie älter aus als er, obwohl sie gut fünfzehn Jahre jünger war.
«Das weiß ich noch nicht», sagte sie endlich. «Ich hab dir immer gesagt, dass dein Schwanz uns noch mal zu Fall bringt.»
«Susanne!», brauste er auf.
Sie hob das Kinn.
«Was?»
Er öffnete den Kühlschrank und nahm erneut die Milch heraus. Er brauchte eine Pause. Er setzte sie an den Mund, ließ das Trinken dann aber doch bleiben.
«Die Typen haben gefragt, ob ich eine bestimmte Frau kenne», sagte er stattdessen.
«Und natürlich kennst du sie», antwortete sie sachlich.
Jetzt trank er einen Schluck. Einen großen.
«Ja.»
Er achtete sehr darauf, dass er weder trotzig noch provozierend, noch zu selbstbewusst klang. Darin war er geübt.
Susanne Bürger bewegte sich keinen Millimeter. «Du streitest es ab, und ich werde es weglächeln. Wie immer. Also, wo ist das Problem?», antwortete sie, als ginge es um einen kleinen Nachbarschaftsstreit.
Henning Bürger stellte die Milch zurück in den Kühlschrank. «Sie ist tot», sagte er
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