Schlecht aufgelegt (German Edition)
also mit», sagte Sophie, «denn ich habe eine Idee. Und ich gebe dir noch eine Chance. Mach was draus.»
Und damit legte sie auf.
Paul ging wieder ins Café, bezahlte seine Parodie eines Frühstücks von Martin Schultes Restgeld und nahm sich für den weiteren Verlauf des Tages vor, bessere Laune zu bekommen, wie auch immer. So schlecht, wie er drauf war, das war ja auch wirklich gar nicht mehr zu steigern. Dabei hatten sie gerade mal kurz vor acht.
U m kurz vor neun standen Kuli und Paul mit dem Rücken zur Wand. Und zwar buchstäblich. Sie waren nur noch zwei Hausnummern von Kulis Domizil entfernt und Paul vermeinte die ersten würzig-fettigen Döner des Tages bis hierhin zu riechen, was bei der Vielzahl der Gerüche um sie herum eigentlich unmöglich war. Wahrscheinlich hatte er einfach nur Hunger. Sie befanden sich auf der Rückseite der Häuserfront, die sie durch einen Eingang aus der nahen Querstraße hatten erreichen können. Einmal klingeln unter dem Vorwand, Prospekte einzuwerfen, dann durch den Hausflur hindurch und durch die Hintertür wieder hinaus, schon standen sie auf dem Innenhof, auf dem sich eine Garagenfront, vereinzelte Bäume und Zugänge zu diversen Kellern der dicht an dicht stehenden Mehrfamilienhäuser befanden. Aus den Fenstern drangen vereinzelte Rufe, Familien stritten, ein Kind schrie oder lachte oder weinte, so genau war das nicht zu sagen. Ein paar Stockwerke über ihnen öffnete jemand ein Fenster; heftige Punkmusik beschallte ihre aufmerksamen Ohren, die Kuli sofort als die Ramones identifizierte und als Begleitmusik durchaus angemessen fand. Sie hatten jetzt nur noch wenige Schritte zu gehen. Der Knackpunkt war die nicht allzu schmale Zufahrt zum Hof, durch die Remzi jeden Morgen seinen kleinen Kastenwagen schaukelte und die von der Straße aus leicht einsehbar war. Da mussten sie vorbei, um durch die Hintertür in den Fahrradkeller zu kommen. Da durften sie nicht gesehen werden.
Kuli zog sein Handy aus der Tasche. «Uhrenvergleich», sagte er nervös, weil er das in Filmen schon oft in vergleichbaren Situationen gesehen hatte.
«Quatsch, Uhrenvergleich!», erwiderte Paul nicht weniger angespannt. «Wir gehen doch zusammen hoch. Oder willst du vorher noch einen kleinen Ausflug machen?»
Da hatte der Paul natürlich recht, dachte Kuli, schalt sich einen Umstandskrämer und hob den Arm.
«Geht gleich los», sagte er. «Einen Moment noch. Gleich. So. Achtung. Drei, zwei, eins – und go!»
Sie stießen sich von der Wand ab und verließen ihre Deckung. Und während sie leicht geduckt über den Hof hasteten, der ungeschützten Einfahrt entgegen, sank vorne, auf der Vorderseite des Häuserblocks, nur wenige Meter vom Eingang zur Dönerbude entfernt, eine junge, blond gelockte Dame mit lautem Ausruf scheinbar entkräftet zu Boden. Sie zog die Aufmerksamkeit der Umgebung auf sich wie ein bunt schillernder Leuchtturm in der Wüste. Einige besonders hartgesottene oder ignorante Passanten liefen einfach weiter, andere aber beugten sich über das arme Geschöpf, das zunächst regungslos liegen blieb, dann anfing zu zucken, als würde man ihm kleine Elektroschocks verpassen. Ein Mann kniete sich vor sie hin und versuchte, sie in Seitenlage zu bringen, ein anderer half ihm dabei. Es wurde getuschelt, grimmig geguckt, einige schlugen die Hände über dem Kopf zusammen, manche schimpften über die Gefahren des Alkohols und beschworen den endgültigen Zusammenbruch der Gesellschaft, andere hingegen diagnostizierten eine schwere Epilepsie und begannen Streit mit den Pessimisten; mehrere besonnene Teilnehmer des öffentlichen Lebens riefen über ihre Handys die Polizei und den Krankenwagen. Es bildete sich sogar auf der anderen Straßenseite eine Menschentraube, niemand wollte etwas verpassen, obwohl es doch gar nichts mehr zu sehen gab. Die Frau war längst zwischen den Körpern der Umstehenden verschwunden. Doch es dauerte nur wenige Augenblicke, da öffnete sich die Menge der zusammengesteckten Köpfe wie eine Blume unter der Sonne, und die Frau stand wieder, sichtlich verwirrt zwar, aber augenscheinlich bester Dinge. Sie klopfte ihre Jeans ab, lächelte dankbar und ein wenig verlegen ihren Helfern zu und beschied alle weiteren Hilfsvorschläge, so auch den, auf einen Krankenwagen zu warten, mit freundlicher Stimme wohlwollend, aber negativ. Sie dankte den Umstehenden mit schwerem, undefinierbarem Akzent, sang ein kurzes Loblied auf die Hilfsbereitschaft der Berliner an sich und machte
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