Schlechte Gesellschaft
sagen, von deinem Vater. Was denkst du? Und das sind wohl Familienfotos?«
»Der Mann da sieht meinem Vater ähnlich«, sagte Judith und kam näher. »Lustiger Schnurrbart. Das ist meine GroÃmutter. Mütterlicherseits. Martha von Nesselhahn.«
Auf dem Foto sah man eine junge Frau in einem hellen, knielangen Kleid mit auffallend tiefem Ausschnitt. Sie hatte schmale Lippen und harte, beinahe trotzige Gesichtszüge. Ihre etwas wirre Frisur sah aus, als wäre sie um die Jahrhundertwende modern gewesen.
»Das ist die, die hier auf dem Dachboden eingesperrt war?«
»Genau.«
Wieland legte die Bilder zurück. »Schöne Fotos.«
»Das kann man wohl sagen. Alexia wird sich freuen.«
Dann entdeckte er eine weitere Mappe. Sie war hinter die Wäschewanne gerutscht. Wieland musste sich strecken, um sie herauszuziehen. Als er sie öffnete, lag vor ihm ein Stapel engbeschriebener Manuskriptseiten.
Spielchen (August 1968)
Gellmann pflückte eine Himbeere vom Strauch und streckte sie Hella entgegen. Sie standen dicht beieinander, er roch ihre gecremte Haut. Hella lachte, schloss die Augen, schob die Zunge heraus, und er legte die Himbeere mit übertriebener Geste darauf. Er fühlte ihre Lippen, wie sie sich um seine Finger schlossen, und schrie auf, als habe sie ihn gebissen.
Vahlen, der von einem kurzen Spaziergang am Wiesenbach zurückgekommen war, sah zu ihnen herüber. Dann wandte er sich ab und ging ins Haus. Gellmann und Hella sahen ihm nach.
»Er geht arbeiten«, sagte Hella .
»Einer muss es ja tun«, sagte Gellmann.
Vahlens Wachsamkeit Gellmann gegenüber schien einer leichten Abscheu vor Hellas Flirtereien gewichen zu sein. Er machte Gellmann keine Vorwürfe. Fast wirkte er dankbar, dass der Freund es mit Hella nicht zu Schlimmerem kommen lieÃ.
Ihr Spiel ging nun schon seit zwei Wochen. Aber die Freundschaft und die angenehme Ruhe auf dem Land waren Gellmann zu wichtig geworden, um sie für ein Abenteuer zu riskieren. Auch wenn Hella noch so reizvoll war. Er mochte Vahlen. Er mochte das Haus. Und die Tage in Sehlscheid gehörten zum Schönsten, was er seit langem erlebt hatte. Die Gespräche mit Vahlen über das Schreiben machten Gellmann zu einem Schreibenden. Die Neckereien mit Hella gaben ihm das Gefühl, jung und frei zu sein, obwohl Hella und Vahlen nur wenig älter waren als er.
Die Ironie, der leichte Spott, mit dem sie über die Revolution in den Städten sprachen, lieÃen Gellmann aufatmen. Sein eigenes Fortkommen, die Arbeit, die Freunde, der Sex waren ihm, waren allen letztlich wichtiger als die Lohnabrechnung eines Arbeiters in Wuppertal. Sie, die Autoren, hatten schon zu viel von ihrer Kraft und Zeit auf fruchtlose gesellschaftspolitische Diskussionen verwendet. Es konnte doch nur darum gehen, da war er ganz Vahlens Meinung, die Sprache für ein anderes, besseres Leben einzusetzen.
Gellmann arbeitete nachts, konnte sich ohnehin erst zum Schreiben hinsetzen, wenn er etwas getrunken hatte. Aber er war sicher, nun seinen Rhythmus gefunden zu haben. Und er meinte, dass es Vahlen ähnlich ging.
Auch Hella schien froh zu sein, dass Gellmann da war. Ihre anfängliche Unsicherheit, dem Haus und den Menschen auf dem Land gegenüber, legte sich. Sie sprach von ihrer Mutter. Und obwohl Gellmann sah, dass sie unter dem Verlust litt, gefiel es ihr offenbar, sich ihm gegenüber unbeschwert zu geben. Sie erzählte, wie Martha von Nesselhahn ihren Mann verlassen hatte. Die Geschichte klang wie ein Gründungsmythos, wie die Befreiung aus einem falschen Paradies.
Gellmann begleitete Hella zum Einkaufen ins Dorf und machte Ausflüge mit ihr zu den Burgen der Umgebung. Morgens strichen sie eins der vielen Zimmer, rissen die Tapete von den Wänden, strichen, brachten Lampen an, während Vahlen im Garten oder in der Bibliothek arbeitete und erst gegen Nachmittag mit Durst und Hunger zu ihnen stieÃ.
Nur einmal versuchte Gellmann herauszubekommen, wie weit Hella gehen würde. Sie hatten am Abend mehrere Flaschen Wein geleert und saÃen noch lange vor dem kalten Kamin. Wie üblich hatte Vahlen sich als erster zurückgezogen. Hella saà auf dem Boden, die Knie angezogen, an Gellmanns Sessel gelehnt. Sie hatten über das Buch von Pfaff geredet, eine misslungene Kolportage seiner Kneipengänge der letzten Jahre.
Gellmann lieà das Gespräch in einem angenehmen Schweigen auslaufen. Erst als
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