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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Born
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ihrer Mutter zu seiner Arbeit betraf. Auch wenn Wieland schon geahnt hatte, dass die »schwierige Witwe« nicht so schnell ihre Meinung geändert haben konnte. Ein wenig schmeichelte ihm sogar, wie Judith ihre Mutter – und auch ihn – hintergangen hatte, nur damit er bei ihr blieb.
    Â»Mama, da ist ein Manuskript. Ein autobiografisches Romanfragment. So etwas wie die Fortsetzung von Westerwald . Das wird ein Buch. Man soll wieder über Papa reden. Reinier könnte eine neue Staffel machen. Vielleicht sogar einen Film zur Serie. Einen Kinofilm!«
    Â»Wovon redest du? Es gibt keinen Roman. Vahlen hat nach Westerwald nur noch Erzählungen geschrieben.«
    Â»Ich sehe was, was du nicht siehst!«
    Judith konnte so unangenehm sein.
In Marthas Kammer (Frühjahr 1919)
    Die Bewohner von Sehlscheid hatten schnell gelernt, ihre Vorräte vor den Amerikanern zu verstecken. Zumindest das Überleben der Zuchttiere konnte mit den Besatzern ausgehandelt werden. Und inzwischenwaren die Soldaten immer häufiger bereit, geringe Gegenleistungen wie eine Konserve oder Hilfe beim Holzhacken anzubieten, um die Dorfbewohner, die sie mit frischem Fleisch und duftenden Backwaren versorgten, bei Laune zu halten.
    Die Kinder waren die ersten, die sich näher an die Fremden herantrauten. Die Gewehre, das fortwährende Gespucke und vor allem die deutsche Mörserkanone, die von den Soldaten unter größter Anstrengung mit einem Ochsengespann die Hohl herauf geschafft worden war, übten auf die Jungen eine Faszination aus, die ihre Aufregung um die jährliche Kirmes, das Schlachtfest oder den Sprung des Deckbullen auf die Kühe noch übertraf. Der Offizier der Truppe hatte die »Dicke Bertha«, wie er das Geschoss mit schwerem amerikanischen Akzent nannte, von seinem Vorgesetzten übernehmen müssen, der nach dem Frieden von Compiègne nicht mehr gewusst hatte, wohin damit. Nun stand das tonnenschwere Beutestück am Rand des Dorfplatzes in einem eigens errichteten und bewachten Unterstand, wurde täglich gereinigt und gewendet, damit es keinen Rost ansetzte, und geriet zum Mittelpunkt eines ärgerlichen Briefwechsels mit dem Stützpunkt in Koblenz.
    Die amerikanischen Soldaten, die sich die meiste Zeit über lässig rauchend gegen den Mörser lehnten, beherrschten vom Deutschen nicht viel mehr als die Worte »Halt«, »Hände hoch« oder »Vorsicht, Feuer«. Aber sie verstanden es, mit spaßhaften Drohgebärden, einfachen Liedern und Kaugummiblasen das Vertrauen der Jungen zu gewinnen.
    Schließlich begannen die Soldaten aber auch, den Mädchen hinterher zu sehen. Sieben Wochen nach Kriegsende und mehrere Monate nach ihrem letzten Freigang versetzte der Anblick der langen Röcke die Rekruten in Erregung. Sie lachten plötzlich auf und vollführten merkwürdige Sprünge. Und von allen Mädchen, die an ihnen vorbei zum Burplatz liefen, war Martha Vahlen die Schönste.
    Martha bewegte ihre langen Arme und Beine, als müsse sie sich erst daran gewöhnen. Sie war gerade sechzehn Jahre alt, und niemand hätte sagen können, wann ihr Haar so glänzend, die Taille soschlank und ihre Lippen so sinnlich geworden waren. Der trotzige Gesichtsausdruck erinnerte noch an ihre frühere Plumpheit. Aber die kantigen Züge, ihre ganze Haltung drückten nun einen Stolz aus, der die Jungen von Sehlscheid davon abhielt, sie wie die anderen Mädchen um leichtfertige Küsse anzugehen. Die Amerikaner dagegen, denen die Vorstellung von etwas Unerreichbarem gänzlich unbekannt war, sahen nur Marthas blaue Augen.
    Seit ihre Brüder sie verlassen hatten, fühlte Martha die Einsamkeit wie einen wiederkehrenden Albtraum in sich aufsteigen. Schon ihren Vater hatte sie nie kennengelernt. Wenn sie aber den kleinen Heinrich mit seinem leeren Blick über den Küchenboden kriechen sah, glaubte sie, nie vergessen zu können, dass sie mit der Geburt des Unglückskindes ihre einzige Freundin und ihren geliebten Bruder fast gleichzeitig verloren hatte.
    An den kurzen Wintertagen, wenn sie in der Dämmerung Brennholz sammeln ging, überlegte sie oft, wie sie die Hüh, die Witwen und ihren Krüppel verlassen könnte. Lohnarbeit war im unteren Westerwald knapp geworden. Die Besatzer hatten die Produktion an den Walzen, die Blechpresse und den Bimssteinabbau für das erste stillgelegt. Eine der Brink-Töchter lebte bereits bei

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