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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Born
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jede Scheiße publizieren. Man kann aber auch etwas daraus machen, was tatsächlich Leser findet. Das ist doch echter Stoff, was in den Briefen steht.«
    Wieland hob abwehrend die Hand. »Da ist noch ein Problem. Hella Vahlen ist strikt dagegen, dass ich die Briefe veröffentliche.«
    Â»Was denn, meine Briefe?«
    Â»Sie hat mir ausdrücklich verboten, irgendetwas aus dem Briefwechsel zu veröffentlichen. Vielleicht könnten Sie ja noch mal …«
    Â»Ich kann mit Hella nicht reden. Die ganze Familie will mit mir nichts mehr zu tun haben.«
    Â»Wissenschaftlich gesehen ist das natürlich höchst bedauerlich.«
    Â»Wissenschaftlich!«, prustete Gellmann. »Das sind meine Briefe. Von mir geschrieben! Sie sind Teil meines Werkes. Ich will, dass sie ein Teil meines Werkes sind. Darauf habe ich ein Recht.«
    Â»Aber die Vahlen-Witwe ist nun einmal im physischen Besitz Ihrer Briefe. Da lässt sich nicht viel ausrichten.«
    Gellmann starrte Wieland nun an. »Ich denke, du hast die Briefe.«
    Â»Ich habe sie gefunden und gelesen. Aber, da sie mir verboten hat, die Briefe zu suchen, habe ich sie offiziell nicht.«
    Â»So ein Quatsch. Wenn du es geschickt anstellst, kann Hella dir gar nichts. Es hängt nur von dir ab. Von dir und deinen Eiern.«
    Â»Nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Gellmann. Ich glaube, ich würde lieber bei meiner Doktorarbeit bleiben. Das mag Ihnen trocken erscheinen. Es wird vielleicht auch keine breite Leserschaft finden. Aber immerhin ist es korrekt und unangreifbar.«
    Â»Korrekt, korrekt. Ihr kleinen Pisser.« Gellmann lehnte sich vor und trank sein Whisky-Glas in einem Zug leer. Sein Gesicht wurde röter. »Was ist denn das auch für eine Scheiß-These, die du da hast«, brüllte er plötzlich. »Mein Dokumentartheater sei autobiografisch. Dass ich nicht lache. Hast du schon mal von irgendjemandem gehört, der irgendetwas geschrieben hat, was nicht autobiografischist? Der etwas tatsächlich erfunden hat? Im Grunde ist doch alles nur Dokumentartheater. Und manchmal ist es das im wahrsten Sinne des Wortes. Hör gut zu, das kannst du zitieren: Die Dokumentation eines Experiments. Und damit meine ich nicht die Literatur, sondern unser Leben. Schreiben können wir viel. Aber leben tun wir nur einmal.«
    Wieland wäre jetzt am liebsten aufgestanden und gegangen.
    Â»Ich will dir eins sagen, Junge.« Wieder ruhiger geworden, schenkte Gellmann sich neu ein und goss auch Wieland Whisky in sein Wasserglas. »Du bringst mir jetzt erst einmal die Briefe, Originale, Kopien, Abschriften, was immer du willst. Ich übernehme die Verantwortung. Wenn du nicht veröffentlichen willst, dann mache ich es eben selbst. Ist schon klar, dass du Angst vor der Witwe hast. Ist eine beeindruckende Frau.«
    Â»Herr Gellmann, ich kann Ihnen die Briefe nicht geben.«
    Â»Was soll das heißen?«
    Wieland wusste selbst nicht genau, was das heißen sollte. Aber er wusste, dass er auf keinen Fall mitansehen würde, wie Gellmann die Briefe an ihm vorbei und außerhalb seiner Doktorarbeit veröffentlichte. In monatelanger Suche hatte er sie sich mühsam beschaffen müssen. Und er hatte nicht vergessen, dass Gellmann ihm in all der Zeit nicht einmal einen Tipp gegeben hatte, wie er die Vahlen-Witwe finden konnte. Es wäre nicht gerecht, dachte er. »Sie sind bei meinem Professor, im Institut«, log er. »Ich komme zurzeit nicht dran.«
Die Erfindung des Glücks (Juli 1973)
    Die Buchstaben reihten sich in lockerer Folge auf das Papier. Das rhythmische Tackern der Schreibmaschine, ein leichtes Schmatzen der Metallgelenke, wenn er genau hinhörte, nie ganz regelmäßig, mit Verzögerungen am Anfang eines Satzes oder längeren Wortes,wie ein Tanz. Vahlen schrieb. Die Sätze sammelten sich in seinem Kopf.
    Draußen dämmerte es. Eine feine Linie aus Helligkeit bildete sich zwischen dem klaren Schwarz des Himmels und den dunklen Anhöhen am anderen Ende des Aulbachtals. Langsam begann sich die Hügelkette abzusetzen, schimmerte bläulich vor der nun heller werdenden Wolkenmasse, bis das Licht, als Vahlen das nächste Mal aufblickte, plötzlich überzuborden schien. Die Sonne zog kreuzförmige Strahlen über die Horizontlinie, tauchte das Tal mit den Streuobstwiesen, den Feldwegen und Böschungen in glitzerndes Licht.
    Vahlen wandte sich von der Maschine ab, um mit dem

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