Schlechte Gesellschaft
Flüssigkeit rann.
Als der Mann sich von ihr abrollte, die Hand noch immer auf ihrem Mund, trat Martha zu. Zuerst traf sie ins Leere. Er wollte sie niederdrücken, da erwischte sie ihn. Stöhnend fiel er auf den Boden. Martha stieg über ihn hinweg, er packte sie erneut am FuÃ, aber diesmal gelang es ihr, sich los zu machen. Dann stürzte sie aus der Tür, wo sie zu schreien begann, nach GroÃmutter Irma, nach der Mutter, nach Hermann und Emmy, die seit Jahren im Unterdorf lebten, und sie war sich später nicht sicher, ob sie nicht auch nach Rudolf gerufen hatte.
Als die Witwen mit ihren Lampen in die Kammer kamen, war der Mann schon durch das Fenster verschwunden. Martha stand zitternd neben ihrem Bett, das nun ganz klein aussah. Der umgeworfene Schemel, das offene Fenster, vor dem sich der Vorhang in der Kälte bauschte, alles schien im weichen Licht der Lampen wieder mit geraden Linien gezeichnet. Aber am Fenster, auf dem Strohbett und an dem Laken waren nun überall schmutzige, schwarze Schlieren zu sehen.
»Hat er dir etwas getan?«, fragte die Alte.
Martha senkte den Blick. Sie spürte die pochende Schwellung zwischen den Beinen. Arme und Hände schmerzten. Die Lippen waren aufgesprungen, mit einem Fuà konnte sie nicht auftreten. Auch das Nachthemd, ihr noch immer heftig zitternder Körper war übersät mit schwarzen Flecken.
Die Witwen wechselten einen Blick. Kläre trat einen Schritt auf ihre Tochter zu. Aber keine der beiden Frauen wagte es, Martha zu berühren.
Wir leben nur einmal (Juni 2007)
Gellmann machte eine einladende Geste, und Wieland folgte ihm durch den langen mit Bücherregalen ausgekleideten Flur in das Wohnzimmer. Hier waren die Wände mit groÃformatigen Bildern behängt, deren Fluchtperspektive und schreiende Farben Wieland verwirrten.
»Wie geht es dir. Du musst entschuldigen, dass ich dich extra hierher bitte. Aber manche Dinge kann man nicht am Telefon besprechen.«
Wieland nickte. Die Fahrt nach Frankfurt war angenehm gewesen. Er war gespannt, was Gellmann von ihm wollte.
»Ich habe mit Harras vom Verlag gesprochen«, sagte er, als Wieland sich gerade erst gesetzt hatte. »Er ist einverstanden, dass wireine gröÃere Sache aus dem Buch machen. Du musst nur einiges ändern. Er hat mir deine ersten Kapitel gezeigt. Um es gleich zu sagen, das konnte ich nicht lesen. So viel Wissenschaft interessiert keine Sau. Ich weiÃ, für die Doktorarbeit ist er wichtig, dieser belegte ScheiÃ. Aber jetzt musst du da noch mal rangehen und dem Ganzen Biss geben.«
Wieland nickte vorsichtig.
»Harras wünscht sich ein Porträt der Zeit und ihrer Akteure, es muss ja nicht immer nur um mich gehen. Du hast doch von einem Romanfragment gesprochen. Wie wäre es, ein paar Ausschnitte reinzunehmen. Unveröffentlichtes kommt immer gut. Da, wo es Sinn macht, meine ich. Das Thema selbst soll nicht aus dem Blick geraten: Die Epoche, die Kollegen. Unsere Freundschaften, unsere Aktionen. Wir haben damals schlieÃlich auch ein bisschen Revolution gemacht, nicht wahr? Willst du was trinken?«
Er griff hinter sich in einen Schrank und zog eine halbvolle Flasche Whisky heraus. »Ist noch ein wenig früh, kann aber nicht schaden.«
Wieland winkte ab. Er war sich nicht darüber im Klaren gewesen, wie viel Gellmann das Buch bedeutete. Er war davon ausgegangen, für den Dramatiker zähle die wissenschaftliche Publikation, die universitäre Aufmerksamkeit, so hatte er ihn noch neulich am Telefon verstanden. Aber jetzt schien er mehr zu erwarten, eine Veröffentlichung für das breite Publikum. Und natürlich, Vahlens Manuskript â auch Gellmann begann sich dafür zu interessieren.
»Biografien sind stark im Kommen. Du musst dir nur mal die Verkaufszahlen von diesem Ding von dem Kühn über â68 ansehen. In unserem Thema ist ja alles schon drin: Sex und Liebe und Leidenschaft. Was wir brauchen, ist eine These, die zieht. Oder noch besser, wir begründen einen neuen Mythos. So etwas wie: âºDie neue Freiheit, Gert Gellmann und die späten 68erâ¹, das ist doch ein guter Titel. Oder âºFingerabdrücke. Nichts, wie es vorher war.â¹ Wie wäre das?«
Wieder nickte Wieland. »Der Verlag hat mir gesagt, man würdebis auf kleine Ãnderungen und ein paar Auslassungen im methodischen Teil meine Dissertation vollständig übernehmen.«
»Kann man, klar. Man kann
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