Schlechte Gesellschaft
dunkel geworden, im Fenster sah er sein Spiegelbild,das Gesicht massig, grob, mit der immer höher werdenden Stirn. Gellmann versuchte, sich auf das Schneiden zu konzentrieren. Die Sehnen lieÃen sich nur mühsam abtrennen. Er nahm das schärfere Messer, rutschte ab, und erst als sich das Blut über das feuchte Holz des Schneidbretts verteilte, merkte er, dass er sich in den Finger geschnitten hatte.
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Dritter Teil
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Hella Vahlen
Was du nicht siehst (Mai 2007)
Wieland strich Judith das Haar aus dem Gesicht. »Willst du weitermachen?«
Sie nickte. »Martha hatte also einen Liebhaber. Hätte ich nicht von ihr gedacht. Meine GroÃmutter sieht auf den Fotos immer so beherrscht aus. Nach den Erzählungen meiner Mutter zu urteilen war sie nicht gerade lebenslustig.«
»Ich denke schon, dass sie eine Affäre hatte. Dein GroÃvater scheint es zumindest geglaubt zu haben. Warum sonst hätte er sie einsperren sollen?«
Sie hatten die Papiere auf dem kleinen Tisch im Wintergarten ausgebreitet. Die Sonne stand hoch. Es war noch nicht spät. Aber nach dem ausgedehnten Frühstück überkam Wieland eine angenehme Trägheit.
In diesem Moment lief Karel kläffend in das Haus hinein. Kurz darauf hörte Wieland die Eingangstür. Er erschrak. Alexia wollte erst am Wochenende kommen. Schritte auf hohen Absätzen näherten sich. Judith richtete sich abrupt auf. Aber da stand die Witwe schon in der Tür.
»Was für eine Ãberraschung, Herr Doktor.«
Hella Vahlen trug einen schwarzen Hosenanzug. Ihr Haar war streng nach hinten gekämmt. Wieland wünschte, Judith würde aufstehen. Sie mussten lächerlich aussehen auf dem Sessel, umständlich aufeinander hockend, im Glasanbau weithin sichtbar.
»Guten Tag, Frau Vahlen«, sagte Wieland.
Judith rutschte betont langsam von seinem SchoÃ.
»Hattest du eine gute Reise, Mama?«
»Es war anstrengend. Aber Reinier hat mir sein Auto geliehen. Vielleicht sollte ich besser wieder fahren. Mir scheint, ich störe hier.«
»Blödsinn. Wir ordnen den Nachlass, Mama.«
»Ja, so etwas habe ich mir schon gedacht.«
Wieland stand nun auch auf. »Ich glaube, ich bin es, der gehen sollte. Entschuldigen Sie, Frau Vahlen.«
»Ja, dann gehen Sie.«
»Wieland ist mein Gast«, sagte Judith. »Warum sollte er gehen, nur weil du hier plötzlich auftauchst, nach ganzen drei Wochen Ferien in â war es Südfrankreich oder die Toskana?«
»Ferien waren das nicht. Wir haben gearbeitet. Mehr jedenfalls, als ihr es zu tun scheint. Ich habe Herrn Wieland bereits gesagt, dass ich seine Einmischung in unsere Angelegenheiten nicht schätze.«
»Frau Vahlen, ich wusste nicht â¦Â«
»Wieland arbeitet mit mir am Nachlass. Wir sind fast fertig. Wir haben alles aufgelistet.«
»Genau das wollte ich verhindern, mein Schatz.« Die Witwe wirkte müde. Wieland hatte nicht einmal das Gefühl, überflüssig zu sein. Er war für die beiden Frauen gar nicht mehr anwesend.
»Was genau willst du verhindern, Mama?«
»Ich habe mehrfach versucht, dir zu erklären, dass es Dinge gibt, die ich für mich behalten möchte. Sie gehen niemanden etwas an. Auch dich nicht.«
»Du hast aber auch gesagt, dass Reinier weitere Filmvorlagen sucht.«
»Reiniers Interessen stimmen nicht immer mit meinen überein. Ich möchte mich soweit es geht von seinen Projekten zurückziehen. Wenn du willst, kannst du dich künftig mit den Fernsehleuten herumärgern. Du könntest durchaus auch mal etwas zum Haushaltsgeld beitragen.«
»Genau das tue ich gerade. Ich möchte Papas Briefe veröffentlichen.«
»Das kommt nicht in Frage. Es reicht völlig, dass jeder dahergelaufene Student sich Vahlens Briefe in den Archiven ansehen kann. In Buchform möchte ich das nicht haben. AuÃerdem kommst du damit nicht weit, was das Haushaltsgeld angeht. Das weiÃt du genauso gut wie ich.«
»Wir könnten auch den Roman veröffentlichen.«
»Von welchem Roman sprichst du?«
Wieland erstarrte. Sie waren übereingekommen, die Sache mit dem Manuskript vorerst vor Hella Vahlen geheim zu halten. Er wollte das Material zunächst einmal sichten. Die Notizen zu Vahlens historischen Recherchen, die Fotos, die Namen â es konnte Monate dauern, bis er alles überprüft hätte. Judith hatte ihn belogen, was das Einverständnis
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