Schlechte Gesellschaft
dass es Hella Vahlen war. Bestürzung ergriff ihn, ein fast körperlicher Aufruhr, über den er sich selbst wunderte. Und in diesem Moment wurde ihm klar, wie sehr er das Aufeinandertreffen der beiden Frauen fürchtete.
Als Vahlen vor zwei Jahren mit Hella aus Amerika zurückgekommen war, hatte er Gellmann gleich sehen wollen. Sie hattensich in Mainz getroffen bei einer der vielen Veranstaltungen, zu denen Vahlen jetzt eingeladen wurde. Der Freund war zurückgekehrt wie aus einer künftigen Welt â mit Ideen und Worten, die nicht nur für Gellmann neu und faszinierend waren.
Wenn sie gemeinsam in der Kneipe saÃen, ging es selten um früher, um das Haus oder um Hella. Auch da hatte sich etwas verändert. Hella blieb in Sehlscheid. Sie sei schwanger, hatte Vahlen nur gesagt und gleich abgewinkt, als Gellmann etwas erwidern wollte. Gellmann hatte die offensichtlichen Schwierigkeiten zwischen Hella und Vahlen für eine natürliche Folge dieser Schwangerschaft gehalten. Es war vorbei mit »Brüderchen und Schwesterchen«, wie man sie genannt hatte, weil sie sich so ähnlich sahen â beide groà und schlank, mit diesem oft überheblich wirkenden Stolz in ihrer Haltung. Ein Kind war dann nicht gekommen. Sie hatten auch nie mehr darüber gesprochen.
Zwischen Vahlen und Gellmann war es meistens um die Arbeit gegangen. Sie fragten sich, wie Literatur noch zeitgemäà sein konnte. Vahlen setzte seine Suche nach der passenden Sprache zielstrebig fort. Umso mehr erstaunte Gellmann die Unsicherheit, die den Freund trotz seiner Erfolge und trotz Hella an seiner Seite oft zu ergreifen schien. Auch Gellmann wollte nun endlich mehr Anerkennung. Und dafür brauchte er Frankfurt, und er brauchte Ingeborg.
Als nun Hella vor seiner Tür stand, klatschnass, eine kleine, dunkelgrüne Reisetasche in der Hand, und als sie sagte, sie habe kein Hotelzimmer gefunden, wusste Gellmann nicht gleich, ob sie das ernst meinte oder ob er darüber lachen sollte.
Hella sah müde aus. Das Haar trug sie noch immer lang, aber es wirkte jetzt spröde. Ihr Gesicht war schmal, die Schultern mager, die Haut im tiefen Ausschnitt der Bluse durchscheinend. Und doch verblasste Ingeborg neben ihr regelrecht.
»Komm rein«, sagte er. »Wärm dich erst mal auf. Wir haben einen Wein offen. Ich koche.«
Er bemühte sich, beim Hantieren mit Gemüse, Fleisch und Töpfeneine heitere Stimmung zu verbreiten. Er sagte: »Erzähl mal, wie ist es euch ergangen«, und: »Was macht das Haus?« Auch Ingeborg wollte die Anspannung wohl überspielen, lief wie aufgekratzt hin und her, schenkte ein und fragte nach Vahlen, den sie von früher kannte.
Hella sagte, Vahlen schreibe wieder Gedichte. Leicht zusammengesunken saà sie am Küchentisch, formte Kugeln aus dem Brot, trank mit nervtötend winzigen Schlucken und wirkte beim Sprechen dünnhäutig. Gellmann nahm den Schleifstein aus der Schublade und begann, mit heftigen Bewegungen das Messer zu schärfen.
Erst als Ingeborg zum Telefon ging, wahrscheinlich um das Treffen für Sonntag zu organisieren, erwachte Hella aus ihrem Dämmerzustand. Sie stand auf, trat zu Gellmann, redete etwas davon, wie er sich verändert habe, dass überhaupt alles anders sei. Langsam strich sie sich dabei über die vor der Brust verschränkten Arme. Sie denke noch immer an die Zeit im Haus, sagte sie.
Gellmann ahnte, was jetzt kommen würde. Zu oft hatte er das schon erlebt. Die Unberührbare, die plötzlich vor ihm kniet. In seinen besten Zeiten hatte er monatelang auf diesen Moment hinarbeiten können. Auch Hella hatte er gewollt. Vielleicht mehr als alle anderen. Aber gerade jetzt und gerade von ihr wollte er das nicht hören.
Er warf das Zwiebelmesser auf das Brett und drehte sich zu Hella herum. Sie erschrak. Er ging auf sie zu, packte ihr Haar im Nacken.
»Was willst du hier?«, flüsterte er.
In diesem Moment hörte er Ingeborgs Schritte im Flur. Er lieà Hella los, drehte sich um, blickte, das Messer schon wieder in der Hand, noch einmal zurück. Hella saà auf ihrem Stuhl, der Blick stumpf, als wäre nichts passiert.
Ingeborg trug das Telefon am Kabel mit sich herum. Es ging um die Demo. Misstrauisch roch Gellmann am Fleisch, einer noch nicht vom Knochen gelösten Lammschulter, die sie gestern auf dem Markt gekauft hatten und die sich bereits zu verfärben begann. DrauÃen war es
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