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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Born
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Bleistift zu notieren, was er sah. Er genoss das Arbeiten im Glasanbau, der ihn ganz einhüllte in das wechselnde Wetter, in die Nacht und den Tag und den Augenblick.
    Gestern hatte die Sommerhitze während seines Spaziergangs am Nachmittag drückend über den Wiesen am Waldrand gelegen. Die Pferde auf ihren Weiden erwehrten sich schweifschlagend der Fliegen und Bremsen. Am Weg wuchsen Himbeeren, deren Kerne noch nach Stunden zwischen seinen Zähnen steckten. Er konnte nicht genug bekommen von dieser Landschaft, die nach jeder Biegung einen neuen Blick eröffnete, die alten Bäume, das wuchernde Unterholz. Dieses Leben der langen Wege, um das er die Bewohner der Gegend beneidete, wenn er sie langsam, in einer Kleidung, die vor allem als Schutz gedacht war, an den Zäunen entlang über die Felder laufen sah. Ihr Gehen war immer mit einem Ziel verbunden, einer notwendigen Tätigkeit, während Vahlen noch überlegte, ob er geradeaus laufen oder abbiegen sollte. Irgendwann endete sein Weg an einem Brombeergestrüpp, einer Müllkippe. Kleine Fliegen und Mücken stürzten sich auf ihn, so dass er umkehren musste.
    Vahlen hörte Hella hereinkommen. Sie musste ihn gesucht haben, nachdem sie das Bett neben sich leer gefunden hatte. Still setzte sie sich zu ihm, um die neuen Seiten des Manuskripts zu lesen. Er sah ihr einen Moment lang dabei zu. Die vollen Brüste, der rundeBauch, an dem sie nun immer schwerer trug, verliehen ihr schon jetzt etwas Mütterliches. Ein süßlicher Geruch nach Schlaf und Vertrautheit verbreitete sich im Raum, und mehr als Hellas Anwesenheit war es dieser Geruch, der Vahlen wie ein unerwartetes Glück durchdrang.
    Er wandte sich wieder der Maschine zu. Mehrere der Gedanken, die er jetzt hatte, musste er verwerfen, weil sie zu kitschig waren, um aufgeschrieben zu werden, weil sie über dieses eine, echte Gefühl nicht hinausgingen.
    Natürlich müsste eine gute Geschichte ein Stück Wirklichkeit zusammenhalten, etwas entstehen lassen, bestenfalls etwas berichtigen. Nichts schien Vahlen so ausschlaggebend für einen Text wie seine Beziehung zur Realität, nichts schien ihm schwieriger festzumachen. Aber im einzelnen war dieses Verhältnis unwichtig. Es galt im ganzen, im Prinzip. Vahlen hatte sich immer geärgert über Gellmanns Chiffren und direkte Verweise. Er hatte kein Interesse an Schlüsselromanen. Er spürte auch nicht mehr das Bedürfnis, mit seinen Texten die Gesellschaft zu verändern. Er wollte ein Buch lesen, als das, was es ist – ein Stück Kunst, ein Kunststück.
    Zum ersten Mal stellte Vahlen sich nicht mehr die Frage, was ihn zum Schreiben berechtigte. Was ihn von den anderen unterschied, die lebten, ohne mitzuschreiben, ohne den Blick auf das Detail zu richten, ohne jeden Konflikt in Gedanken zuzuspitzen. Jetzt, wo seine Beziehung zu Hella mit der Schwangerschaft einen Fluchtpunkt gefunden hatte – und sei er in der Weite des Universums noch so klein und unbedeutend –, fürchtete er sich nicht mehr, konnte sich nicht mehr fürchten vor dem spurlosen Verschwinden.
    Immer weiter reihten sich die Buchstaben aneinander, die noch rohen Sätze, in täuschend gleichmäßigen Linien. Er tippte eine letzte Zeile auf die Seite, bevor er ein neues Blatt einspannen musste. Diese Geschichte war alles andere als gradlinig. Sie war ihre Geschichte. Seine und Hellas und die ihres Kindes. Sie war der Beginn eines neuen Lebens.
Wichse I (Frühjahr 1919)
    Der First Lieutenant Herbert Green fühlte sich jeden Tag wohler in der gutgeheizten Gemeindestube. Hier, als Kommandant der Militärverwaltung von Sehlscheid, war er zum ersten Mal im Leben sein eigener Herr. Den Dolmetscher hatte er zu Linde in das Vorzimmer gesetzt. Eine seiner besten Entscheidungen, wie er fand. Die beiden erledigten die meisten Amtsangelegenheiten, ohne ihn zu behelligen.
    Green hatte es sich an diesem Februarmorgen in seinem breiten Sessel bequem gemacht. Die meiste Zeit des Tages hatte er seine Füße auf dem mächtigen Schreibtisch des Gemeindevorstehers liegen. Durch das Fenster zu seiner Linken sah er die laublosen Pappeln, die sich silbrig gegen den frostblauen Himmel abzeichneten. Die Verwaltungsarbeit des Dorfes blieb überschaubar. Er unterschrieb, was man ihm brachte. Wenn er unsicher war, fragte er den Dolmetscher Meyer oder Linde, oder er telefonierte mit dem Stützpunkt in Koblenz. Meist stieg bereits

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