Schlechte Gesellschaft
am späten Vormittag der Duft von Butterzöpfen und gebratenem Fleisch durch das Treppenhaus. Er musste nur rufen, dann brachte Lindes Frau ihm Kaffee, Marmeladenhörnchen, knusprige Hühnerschenkel und überhaupt alles, wonach ihm der Sinn stand.
Auch die Soldaten seines gemischten Platoons machten einen zufriedenen Eindruck. Die Männer schienen ihn zu mögen. Endlich kam er in den Genuss der vielgerühmten Vorzüge der höheren Offizierslaufbahn, die er mit mäÃigem Erfolg vor einigen Jahren eingeschlagen hatte. »Wenn etwas schiefgeht, duckst du dich«, hatte ihm sein Vorgesetzter Major an der Front in Frankreich gesagt. »Dafür stehen sie schlieÃlich hinter dir, deine Männer. Und wenn etwas gutgeht, dann nimmst du Haltung an. Das bist du dir und der Army schuldig, Green.«
Nach der Spanischen Grippe im Trainingslager, nach der endlosen Atlantiküberfahrt, nach den Gefechten im knietiefen Schlamm der europäischen Schlachtfelder und nach den kleinen und groÃenGaunereien seines Vorgesetzten, die immer auf ihn zurückfielen, meinte Green diesen Frieden wirklich verdient zu haben. Er hatte es nicht eilig, nach Hause zu kommen, wo seine Frau jammerte, dass ihr das Geld nicht reiche und dass die drei Söhne ihr nie gehorchten, wenn er nicht da war.
Als im Vorzimmer plötzlich ein Tumult ausbrach, hysterische Frauenstimmen und Stühlerücken, wusste Green sofort, dass es nun aus war mit seinem Frieden. Sein Magen verkrampfte sich. Und da öffnete Meyer auch schon, ohne vorher anzuklopfen, die Tür seiner Arbeitsstube.
Zwei ältere Frauen drängten sich mit einem auffallend hübschen Mädchen ins Zimmer. Eine der beiden, die jüngere, meinte Green bereits in der Amtsstube gesehen zu haben, mit einem kleinen Jungen, der wohl im Krieg seine Eltern verloren hatte. Hinter ihnen tauchte der rot angelaufene Kopf des Gemeindevorstehers Linde auf. Er stammelte etwas auf Deutsch, was Green nicht verstand.
»Entschuldigen Sie, Lieutenant«, sagte nun der Dolmetscher, ebenfalls sichtlich aus dem Konzept gebracht. »Es scheint, dass diese Angelegenheit â«
Die beiden Frauen unterbrachen ihn mit einem aufgeregten Redeschwall. Ihre Gesichter verzerrten sich zu Grimassen, ihre Hände gestikulierten wild. Beim Anblick ihrer fauligen Zähne hielt Green unwillkürlich die Luft an.
Das junge Mädchen stand stumm und mit gesenktem Blick da. Noch der weite Rock und das übergeworfene Tuch schienen ihr nicht genug Deckung zu bieten in dieser Umgebung. Als sie aufsah, spürte Green einen Stich in seinem Herzen. Ihre Augen, dieser Blick erinnerte ihn an das Kindheitsfoto seiner Mutter, das bei ihm zu Hause in Idaho auf der Anrichte stand.
»Diese Frauen behaupten, ein amerikanischer Soldat sei durch das Fenster bei dem Mädchen eingestiegen«, sagte Meyer.
Wieder fühlte der Lieutenant den Schmerz in seinem Magen, diesmal verbunden mit leichter Ãbelkeit, als er sich vorstellte, wie einer seiner Männer sich an dem Mädchen vergriff.
Solche Fälle hatte es gegeben. Natürlich. Das hier war nicht Amerika. Unter Hunderttausenden Soldaten musste es immer einige faule Eier geben. Auch das hatte er von seinem Vorgesetzten gelernt. Green selbst war einmal dabei gewesen, als der Major in eine wütend schreiende Frau eindrang. Sie war nicht mehr ganz jung und allein auf ihrem Hof â gleich hinter der Front, mitten im Krieg in Frankreich. »Die will es nicht anders«, hatte der Mayor gesagt. »Wenn ich es nicht tue, tut es der nächste, der hier vorbeikommt.« Und er hatte gegrinst. Green war hinausgegangen, um beim Hühnerstall auf ihn zu warten. Hinterher hatte er sich schmutzig und schäbig gefühlt.
Hier war Green selbst der Vorgesetzte. Unzucht mit der Bevölkerung wurde vor dem Militärgericht verhandelt. Und er wäre nicht der erste Offizier, dessen Karriere endete, weil die Leute, für die er verantwortlich war, sich daneben benommen haben.
»Gibt es Beweise?«, fragte er.
Der Dolmetscher sagte etwas zu Linde. Der wiederum hob beschwichtigend die Hände, als die Frauen nun hörbar schnaubten. Die Ãltere stieà einen heftigen Schimpflaut aus. Green zuckte zusammen. Dann folgte wieder ein Redeschwall.
Meyer übersetzte. »Das Mädchen hat bezeugt, es habe sich um einen Mann gehandelt, der nur wenig Deutsch sprach und der ihr damit drohte, sie zu erschieÃen. Der Mann
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