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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Born
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die Verpflegung zu verweigern. Eine Zeitlang fürchtete man in Sehlscheid sogar einen Aufstand.
    So waren alle froh gewesen über Hermann Vahlens Vorschlag, die Witwen sollten an Heinrichs Stelle das Hungermaul bei sich behalten. In den Grabstein des toten Jungen ließ man kurzerhand den Namen »Hans Gisbert« meißeln, denn niemand wusste, wie das Hungermaul wirklich hieß. Den Totenschein schickte man mit Stempel und Unterschrift des amerikanischen Offiziers an das zuständige Waisenhaus in Koblenz, wo die Akte des unbekannten Jungen geschlossen wurde. Und auf ausdrückliche Bitte Hermann Vahlens taufte Pastor Heller schließlich denjenigen, den man im Dorf weiterhin Hagis nannte, auf den Namen Heinrich.
    In den Köpfen der Leute hatten sich die Ereignisse mit den Jahren jedoch vermischt und die Abfolgen verändert. Niemand verspürte noch die Erleichterung, die geherrscht hatte, nachdem die für alle gütliche Einigung gefunden worden war. Marthas vielgefürchtetes Mohren-Kind wurde nie geboren. Stattdessen hatte sich in Folge ihres Unglücks, so sah es im Nachhinein aus, ein anderes Kuckuckskind im Dorf eingenistet: Hagis mit seinen tiefliegenden Augen und den dunklen Haaren. Dieser auf bald schon unheimliche Weise schlaue, aufsässige Junge ohne Namen, war nicht im Westerwald geboren und würde auch nie dort hingehören, das hatte er am heutigen Abend aufs Neue unter Beweis gestellt.
Duisburg II: Hindernisse (Juni 2007)
    Â»Suchen Sie etwas?«
    Kittel zog seine Hand vom Regal zurück. Tatsächlich war er dabei, das Manuskript zu suchen, wühlte in den Papierstapeln und Ordnern der Doktoranden herum. Er dachte, er sei allein im Institut und hatte Caroline Schweizer nicht hereinkommen gehört. Natürlich wusste er genau, dass er als Professor im Aufenthaltsraum der Hilfskräfte nichts verloren hatte. »Frau Schweizer! Ich hatte gehofft, hier Andreas Wielands Arbeitsmaterial zu finden.«
    Am Morgen hatte Wieland endlich angerufen. Kittel hatte dem Doktoranden keine Vorwürfe gemacht, denn er wirkte völlig durcheinander, geradezu misstrauisch. Vergeblich versuchte der Professor ihn zu überreden, das Manuskript an den Lehrstuhl zu bringen. Erst hinterher war ihm die Idee gekommen, dass es sich womöglich längst im Institut befand.
    Â»Da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen«, sagte Caroline Schweizer. »Wie Sie sehen, bewahrt hier jeder seine Sachen so auf, wie er es für richtig hält. Es ist auch Privates dabei.« Das war ein eindeutiger Hinweis, dass Kittel kein Recht hatte, hier zu sein. Caroline Schweizers Sinn für Ordnung grenzte an Unhöflichkeit, dachte er. Er hatte keine große Lust, sie in seine Überlegungen einzubeziehen.
    Â»Wieland müsste doch längst zurück sein aus dem Westerwald«, sagte sie.
    Â»Ich habe ihn seit Wochen nicht gesehen.«
    Â»Rufen Sie ihn doch an.«
    Â»Ja, das wird das Beste sein«, sagte Kittel und tat absichtlich zerstreut. »Irgendwo muss ich seine Nummer haben.«
    Er riskierte einen letzten Blick über das Regal und wollte sich schon abwenden, da entdeckte er aus dem Augenwinkel einen ganz neuen Dokumentenkarton. Mit großen Buchstaben stand darauf »Wieland« geschrieben, und darunter in Klammern »persönlich«.
    Kittel blickte sich zu Caroline Schweizer um. Sie stand wartend in der Tür. Offenbar hatte sie nicht gesehen, was er gesehen hatte. Er würde wiederkommen.
    Im Zimmer seiner Tochter waren die Rollläden heruntergezogen, und auch an den anderen Fenstern seines Bungalows konnte Kittel von draußen nicht erkennen, ob jemand zu Hause war. Als er eintrat, regte sich nichts. Neben dem Flurtelefon sah er das Lämpchen des Internetanschlusses flackern.
    Â»Hans Ullrich? Bist du das?« Die Stimme seiner Frau kam gedämpft von oben.
    Â»Ich will nur was essen. Bin gleich wieder weg«, rief er und ging weiter in die Küche.
    Kittel wusste, dass seine Frau ein Verhältnis hatte. Seit langem schien sie auf eine Gelegenheit zu warten, ihn zu verlassen.
    Â»Was tust du da, Papa?«
    Kittels Tochter stand neben ihm in der Küchentür. Er hatte sich ein Rührei zubereiten wollen und war gedankenverloren vor dem geöffneten Kühlschrank stehen geblieben.
    Â»Ich überlege«, sagte er.
    Jana lachte. »Willst du nicht wenigstens den Kühlschrank zumachen? Dann könntest du auch den Mantel ausziehen.« Da war er

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