Schlechte Gesellschaft
der Küche Arme und Hände gewaschen. Das Mädchen hatte ihm das Handtuch gereicht.
Auf Nesselhahns Frage, wie Marthas Zustand sei, wandte der Arzt sich ihm abrupt zu.
»Sie sollte es überstehen.« In seinem Blick lag eine merkwürdige, fast bösartige Genugtuung.
»Ihnen ist wohl klar, dass ich das melden muss«, fuhr er fort. »Eine solche Weiberpfuscherei habe ich lange nicht erlebt. Sie wissen, wie der Führer darüber denkt.«
Nesselhahn hatte sich ungerührt gegeben. Er öffnete die oberste Schublade seines Sekretärs, in der ein Stapel gröÃerer Scheine zu sehen war.
»Das ist keine Frage von Geld«, sagte Werth eilig. Wir alle haben in diesen Zeiten nur das Allernötigste.« Aber schlieÃlich hatte er das Geld doch genommen.
Als der Arzt gegangen war, hatte Nesselhahn vorsichtig die Tür zu Marthas Zimmer geöffnet und war an ihr Bett getreten. Fahl und reglos hatte sie dagelegen, ihr Körper ungewöhnlich flach unter den Decken. Und doch war da noch immer ein Kind in Marthas Bauch. Ein Kind, das sie so sehr nicht wollte, dass sie alles riskiert hatte, um es loszuwerden â ihr Leben, das Glück ihrer Kinder und sein eigenes. Unendlich schwach hatte sie gewirkt. Müde und ohne jedes Gefühl. Er musste an sich halten, sie nicht zu berühren.
»Warum hast du das getan?«, fragte er. »Warum hast du es mir nicht wenigstens gesagt? Du weiÃt, wie gefährlich das ist. Die Leute reden.«
Martha antwortete nicht, bewegte sich auch nicht. Die Augen hielt sie geschlossen, obwohl er wusste, dass sie nicht schlief.
Nach einem langen Moment des Schweigens hatte er das Zimmer verlassen. Sie musste sich ausruhen. Sobald sie stark genug war,würde sie mit ihm reden. Früher oder später würde sie sagen müssen, von wem das Kind war.
Als dann die Blutungen von neuem begannen, war Nesselhahn gleich in den Verlag gefahren. Er wollte nicht dabei sein, wollte Martha nicht wieder schreien hören. Er hatte Angst, wie noch nie in seinem Leben. Und er schämte sich, ohne zu wissen, wofür.
Martha hatte das Kind verloren. Es war der bestmögliche Ausgang, die einfachste Lösung, dachte Nesselhahn. Sie hatte es so gewollt, sie würde sich erholen. Und doch fühlte er sich nicht erleichtert.
Seine Frau wollte ihn verlassen. Sie selbst hatte es gesagt, ohne weitere Erklärung. Er hatte wohl gemerkt, wie ungern sie inzwischen in seiner Nähe war. Trotzdem konnte er nicht glauben, dass ihr längst miteinander verwachsenes Leben, das Wohlergehen der Kinder, ihr Haus im Aulbachtal Martha nichts mehr bedeuten sollten. Er hoffte, sie würde bleiben. Aber für das erste wusste er keinen anderen Ausweg, als sie einzusperren.
Wenn Emilie, Karl und die noch so kleine Hella am Nachmittag von Lisa hinausgebracht wurden, lief Martha mit kurzen, abgehackten Schritten auf dem Dachboden hin und her. Mehrmals hatte sie angefangen zu schreien, immer lauter und schriller, so dass Nesselhahn sich in seinem Arbeitszimmer die Ohren zuhalten musste.
Nachdem sie das Schreien aufgegeben hatte, setzte er sich zu ihr in den Treppenaufgang. Und weil sie stumm blieb, begann er zu sprechen. Seit Wochen verweigerte seine Frau ihm die Wahrheit, vielleicht schon seit Jahren. Sie musste begreifen, wie groà der Verlust wäre, wenn sie jetzt nicht einlenkte, sagte er.
Bald waren ihm die Worte ausgegangen, die immer gleichen Bitten und Forderungen, und so erzählte Nesselhahn seiner Frau ihre gemeinsame Geschichte. Anfangs flüsternd und zögerlich, später mutiger und manchmal sogar mit einem Lächeln. Er kauerte im Halbdunkel des Treppenverschlags, immer in der Hoffnung, eine Antwort, irgendeine Regung von Martha zu vernehmen. Es war derletzte Versuch einer Wiedererweckung, sagte er sich, die Beschwörung ihrer Liebe.
Martha war zu schön für ihn gewesen. »Wesentlich«, hatte sein Freund Gues an jenem ersten Wochenende in Sehlscheid mit leicht eingeschnapptem Unterton festgestellt. Gues war es, der ihn und Anhausen auf die junge Köchin des Kurhotels aufmerksam gemacht hatte, die am Sonntag persönlich mit einem warmen Butterzopf an ihren Frühstückstisch gekommen war. Aber Nesselhahn hatte es als erster gewagt, sie anzusprechen. »Wesentlich«, hatte auch er zufrieden geantwortet, genau wie er es jetzt für Martha wiederholte, mit der Zuversicht desjenigen, der wusste, dass bei seinem Namen und
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