Schlechte Gesellschaft
seiner Stellung ÃuÃerlichkeiten keine Rolle spielten und bei einem einfachen Mädchen aus dem Westerwald, mochte es noch so schön sein, keine Rolle spielen konnten.
Er erzählte Martha nicht, dass er durchaus auch ihre Schwermut bemerkt hatte, die er anfangs noch geheimnisvoll fand. Später erst hatte er die feinen Fältchen um ihre Augen entdeckt, spürte an der Weichheit ihrer Arme und Schenkel, mit denen sie ihn nachts kraftvoll umschlang, dass sie nicht mehr jung war. Für Nesselhahn war sie die Schönste, das sagte er ihr. Aber längst hatte er sich eingestehen müssen, dass Marthas Schönheit eben nur ein Teil dessen war, was ihre Persönlichkeit ausmachte.
Es war nie einfach gewesen, mit Martha zusammen zu leben. Keiner seiner Freunde, weder der verheiratete Anwalt Anhausen noch der notorische Junggeselle Gues hätte sie auch nur ansatzweise zufriedenstellen können. Doch manchmal fragte sich Nesselhahn, und das nicht erst seit diesem Sommer, ob auch er die Herausforderung besser nicht angenommen hätte.
Martha hatte sich in der eleganten Koblenzer Wohnung schnell eingerichtet. Trotz des Ruhrkampfs, der noch lange nach dem Abzug der französischen Truppen mit Racheaktionen, Hass und Armut wie ein Schleier über der Stadt lag, schien sie sich wohlzufühlen. Abends kochte sie mit Hingabe für ihn und die Verlagsfreunde. Nesselhahn ermunterte sie, ein eigenes Kochbuch zu schreiben,und als es erschien, gab er in den Verlagsräumen ein groÃes Fest für sie. Die einfachen Rezepte mit wenigen Zutaten wurden schnell zu einem Geheimtipp unter jungen Frauen. Martha trug die neuesten Kleider, fuhr bald selbst einen Wagen und ritt am Wochenende mit Freundinnen aus, deren exotische Namen Nesselhahn sich nie merken konnte.
Bald hatte er sich wieder ganz dem Aufbau des Aurum Verlags gewidmet. Seine Ãbersetzungen aus dem Französischen, Gedichte und Erzählungen der Romantiker erschienen in kleinen, feinen Bänden. Ãber seinen Freund Gues war er auf eine Gruppe avantgardistischer Autoren gestoÃen, deren experimentelle Pamphlete und utopische Manifeste man ihm in interessierten Kreisen gerne abnahm. Die Geschäfte gingen besser als erwartet, und deshalb hatte er Martha wohl oft alleingelassen. Um ihr das Leben angenehm zu machen, kaufte er einen schnelleren Wagen und ein teureres Pferd für sie. Er bezahlte ihr Reisen, und als sie endlich ein Kind erwartete, lieà er sie eine Hilfsköchin einstellen.
An ihrem Geburtstag schlieÃlich, jenem kaltsonnigen, fast windstillen Morgen im Frühjahr 1934, half er seiner hochschwangeren Frau vor einer hübschen kleinen Villa aus dem Wagen. Er hatte ihr die Augen verbunden, und flüsterte ihr zu: »Erschrick nicht, Liebes«, weil er vorhatte, ihr diesmal eine besonders groÃe Freude zu machen.
Martha selbst hatte ihm von dem Haus im Aulbachtal erzählt, das ihre GroÃmutter Irma vor langer Zeit bewohnt hatte. Mit Hagis war sie einmal dort gewesen. Die Hausherrin hatte freundlich reagiert, als sie die beiden um ihr Grundstück herumschleichen sah, und ihnen in der Küche eine Tasse Milch servieren lassen. Hagis, der damals noch ein Kind war, erschien ihr Ausflug wie ein Abenteuer. Eines Tages, versprach er Martha, werde er ihr das Haus kaufen. Der um einiges älteren Martha aber, die so neugierig auf Irmas Vergangenheit gewesen war, hatte der Anblick der Rosenbeete, der Kieswege und der steinernen AuÃentreppe einen Stich versetzt. Nesselhahn hatte gleich den Verdacht, die Geschichte der GroÃmuttersei der Grund dafür, dass Martha so traurig war, immer als wäre sie um ein schöneres Leben betrogen worden.
Marthas Geburtstag sollte zum ersten einer neuen Zeitrechnung werden. Nesselhahn wollte seine Frau, die er meinte, mehr denn je zu lieben, seit sie sein Kind trug, endlich glücklich machen. Aber im Nachhinein schien es ihm, als hätte Martha genau an diesem Tag, als er ihr das Haus ihrer GroÃmutter im Aulbachtal schenkte, begonnen, sich von ihm abzuwenden.
Weiterschreiben I (April 1981)
Vahlen erhob sich vom Sofa, ging mit leichtem Schwindel herüber zum Schreibtisch und lieà sich vorsichtig auf den Stuhl nieder. Seine verquollene Nasenwurzel schien ihm bis in das Hirn hinaufzureichen. Es lag nicht an der Erkältung, dass er schon seit Tagen nicht schreiben konnte. Aber wenn die Kopfschmerzen nachlassen würden, dachte er, dann könnte er sich zumindest
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