Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
Jetzt wird es skandalös. Es ist Standard, dass man bei solch großen, teuren Studien die Gesamtsterblichkeit mit erfasst. Damit lässt sich beurteilen, ob eine Maßnahme insgesamt nützt oder nicht.Würden also Obst und Gemüse zwar nicht vor Krebs, dafür aber vor anderen Krankheiten schützen, müsste dies in einer längeren Lebenserwartung derVielobstesser zu messen sein, doch diese Daten fehlen in derVeröffentlichung. Hier unterstelle ich ein bewusstesWeglassen, um die eigenen Behauptungen nicht widerlegen zu müssen. Dass in der Kurzfassung erneut von einem leicht positiven Effekt gesprochen wird, ist schon wieder eine Irreführung, denn dieser leicht positive Effekt ist in der Langversion nicht mehr nachvollziehbar, weil er sich nur auf Alkoholkranke bezieht.
Und es geht noch weiter. Das von DKFZ und der Universität Heidelberg neu gegründete Nationale Centrum fürTumorerkrankungen ( NCT ) umfasst auch den Programmbereich Prävention und Krebskontrolle unter der Leitung von Prof. Dr. Cornelia Ulrich. Cornelia Ulrich ist Ernährungswissenschaftlerin und hat in den USA ein Masterstudium in Gesundheitswissenschaften (Public Health) absolviert. Sie behauptet in ihrenVorträgen, 60Prozent aller Krebserkrankungen könnten verhindert werden, und zwar durch einen » gesunden « Lebensstil. Nachdem ich beim NCT darum bat, für diese Aussage Quellen zu benennen, begründete Cornelia Ulrich ihre Behauptung mit dem bereits beschriebenen WCRF -Report, der aber gegen die Regeln des Studien- TÜ V , also nicht evidenzbasiert, erstellt wurde. Dessen Schlussfolgerungen lassen sich, und das nur mit gutemWillen, als gehobene Spekulation bezeichnen.
Weil ich diese Praxis wissenschaftlicher Argumentation für eine derart wichtige Einrichtung wie das DKFZ als unwürdig ansehe, schrieb ich imAugust 2008 an den Leiter und bat um eine Erklärung.Als Antwort bekam ich denVerweis auf die Stellungnahme des Leiters der Arbeitsgruppe für Ernährungsepidemiologie des DKFZ , in der der Abteilungsleiter gegenüber seinem Chef auf meine Anfrage hin seinVorgehen rechtfertigt. Ein paar Zitate aus dieser Stellungnahme:
» Soweit es meine Arbeitsgruppe betrifft, kann ich Ihnen versichern, dass wir die Datenlage so korrekt wie möglich darstellen. Es gibt mehrere wissenschaftliche Zusammenstellungen der Datenlage, die bekannteste dürfte der im November 2007 publizierte zweite Report des WCRF sein. «
Das stimmt, aber eben keine nach den Regeln der Evidenzbasierten Medizin. Für Quellen, die auf viel besserer Datenbasis diesen Behauptungen widersprechen, wie die auf Seite 102 beschriebeneWomen’s Health Initiative, scheint sich im DKFZ niemand zu interessieren. Und weiter:
» NegativeWirkungen durch eine Steigerung imVerzehr von Obst und Gemüse sind beim Gesunden nicht zu erwarten. Gleiches gilt für denVerzehr von Ballaststoffen in den empfohlenen Mengen. «
Doch wir reden nicht von Erwartungen, sondern von der Realität meiner Patienten, die bei zu vielen Ballaststoffen oft über Bauchprobleme klagen, sowie den zahlreichen vorliegenden Belegen dafür, dass » gesunde « Ernährung die Ursache dafür ist.Wieso kenne ich diese Quellen und der Mitarbeiter des DKFZ , dessen Job es wäre, darüber informiert zu sein, nicht? Der Brief schließt wie folgt:
» DerVorwurf der eindimensionalen Ratschläge im Bereich Ernährung und Krebsprävention mag richtig sein. Solange jedoch unserWissen zu Interaktion zwischen genetischen und metabolischen Faktoren und Ernährung so lückenhaft ist, wird man solche Empfehlungen nicht individuell zuschneidern können. «
Das bedeutet schlicht und einfach, dass das DKFZ keine Ahnung hat, welche Konsequenzen seine Empfehlungen für den Einzelnen haben, und daraus die Berechtigung ableitet, sie einfach für alle Menschen auszusprechen. Kann ja nicht schaden. Doch, tut es.
Zum Beispiel wenn sich Krebspatienten darauf verlassen, dass solche Empfehlungen hilfreich sind, und uninformiert über die Probleme bleiben, die eine » gesunde « Ernährung mit sich bringen kann. Oder wenn die Behauptung, ein falscher Lebensstil löse Krebs aus, zu Schuldgefühlen führt. Oder wenn sich Eltern krebskranker KinderVorwürfe machen, ihren Kindern erlaubt zu haben, das zu essen, was ihnen schmeckt. Und das in besonderem Maß, wenn das Kind mollig ist. Und nicht zuletzt könnten dieTeilnehmer solcher Untersuchungen wie zum Beispiel der EPIC -Studie, die darauf vertraut haben, dass mit ihren Daten tatsächlichWissenschaft
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