Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)

Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)

Titel: Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Frank
Vom Netzwerk:
Nicht-Risikogruppen deshalb für falsch, weil man vermuten müsse, dass die Nicht-Risikogruppe dann nicht in den Genuss von vielleicht doch wichtigen Schulungen für einen gesunden Lebensstil kommt.Wenn also solche Schulungen bei Risikopatienten nichts bringen, dann nimmt man dies als Begründung dafür, sie auf alle Menschen auszudehnen.Wenn die Autoren damit sagen wollen, dass jeder Mensch sterben muss und deswegen gesund leben soll, dann erinnere ich mich gern an einen Spruch des Heidelberger Medizinhistorikers Heinrich Schipperges: » Wer gesund stirbt, hat nicht gelebt. « Das hört sich für mich deutlich sinnvoller an.
    Die Gesundheitswissenschaftler fahren unbeirrt fort:
    » Wenn wir nicht die Antwort kennen [darauf, wie man den Nutzen von Gesundheitsempfehlungen messen kann], dann bedeutet dies nicht, dass wir sie nicht trotzdem finden können. Unser gesamtesWissen reicht trotzdem aus, um zu wissen, dass die bekannten Empfehlungen das Erkrankungsrisiko dramatisch senken können. «
    Obwohl sie zugeben, dass es in 50Jahren Forschung nicht gelungen ist, zu zeigen, dass Menschen durch die Framingham-Ansätze gesünder geworden sind– abgesehen vom Rauchen–, halten die Gesundheitswissenschaftler an ihnen fest. Und als Beleg für ihrWissen führen sie Quellen an, von denen wir eine gut kennen: die Harvard-Alumni-Studie, die wir schon auf Seite101f. als Datenmanipulation entlarvt haben. Und jetzt kommt die entscheidende Passage, die offenlegt, in welcher Gedankenwelt diejenigen leben, die in unserer Gesellschaft für Gesundheitsförderung zuständig sind:
    Die Autoren bezeichnen die breite Einführung von Lebensstiländerungen in der Gesellschaft als »ethische Notwendigkeit«. Die Überprüfung, ob dies überhaupt sinnvoll ist, ist nicht notwendig, denn: » Da ein Expertenkonsens darüber besteht, dass unserWissen uns berechtigt, Menschen mitzuteilen, dass einWechsel zu einem gesunden Lebensstil ihr Krankheitsrisiko verringert, treten wir dafür ein, dass wir bei Studien keine Kontrollgruppen mehr bilden sollten, da die Gruppe, die den gesünderen Lebensstil in der Studie umsetzt, ja immer besser abschneiden muss. «
    Eine Argumentation, die an George Orwell und seinen fiktiven Diktator Big Brother oder an Juli Zehs METHODE erinnert:Wir wissen, was gut für euch ist, weil wir wissen, was gut für euch ist. Nachmessen oder überprüfen wird aus ethischen Gründen nicht gestattet.Warum? Es ist unnötig, weil wir am besten wissen, was gut für euch ist, und deshalb verpflichtet sind, euch alle an unseren Segnungen teilhaben zu lassen. Die Autoren fordern nichts anderes als die Abschaffung vonWissenschaft in derWissenschaft, und zwar aus ethischen (!) Gründen. Die fachliche wird von der moralischen Begründung abgelöst. Es interessiert nicht mehr die Lösung eines Problems, sondern wie man es für seine Propaganda nutzen kann. So könnte in Zukunft unter dem Deckmantel derWissenschaftlichkeit alles in einer Gesellschaft durchgesetzt werden, egal wie absurd oder menschenverachtend es auch wäre. Eine Überprüfung wird nicht mehr möglich sein.
    Wie man taktisch vorgeht, um die Lebensstilmoral » wissenschaftlich « begründet weiter zu verbreiten, zeigt das Mannheimer Institut für Public Health, Sozial- und Präventivmedizin ( MIPH ). 2009 interviewte man Hausärzte in Baden-Württemberg zu den Barrieren für eine Ausweitung des Präventionsangebots in der Sprechstunde. Es ging wieder um die üblichen Risikofaktoren.
    Die Fragen lauteten: Für wie wichtig halten Sie die folgenden Maßnahmen? Es folgte eine Auflistung von gesunder Ernährung, Bewegung,Tabak, Alkohol, Cholesterin und Blutdruck.Wie gut gelingt es Ihnen, Ihre Patienten zu diesenVerhaltensänderungen zu motivieren? Und wie beurteilen Sie Ihre Kompetenz in diesen Bereichen? Danach wurde genauer abgefragt, ob man verschiedene Präventionsleistungen bei den Patienten durchführt habe, wie Gewichtsreduktion, Ernährungsberatung,Tabakentwöhnung, Ermittlung des Framingham-Scores.Von 2000 angeschriebenen Hausärzten nahmen 13Prozent an der Befragung teil. Das publizierte Ergebnis war vorauszusehen:
    » Es besteht ein Interventionsbedarf hinsichtlich der Häufigkeit und Qualität von Lebensstilberatungen, da zu vermuten ist, dass solche Beratungen nicht genug in dieTiefe gehen. Eine vermehrte Information der Ärzte bzgl. der Effektivität von Lebensstilberatungen, effiziente Schulungen und verbesserte finanzielle und organisatorische Rahmenbedingungen

Weitere Kostenlose Bücher