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Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)

Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)

Titel: Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Frank
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zutrifft.
    Unsere fiktive Fußpilzstudie NaFu-2 war randomisiert, prospektiv und hatte kontrollierte Interventionen getestet. Sie bekommt deshalb den höchsten Empfehlungsgrad 1b und ist damit eine Champions-League-Studie.
    Die Aussage »Sport treiben fördert die Entstehung von Fußpilz« bezieht sich auf diese 1b-Studie. Sie bekommt die höchste Evidenzklasse, nämlich A.
    Der Nutzen für die Empfehlung, Sport zu meiden, um Fußpilz zu verhindern, ist somit gut belegt und kann mit dem Grad A versehen werden. Der Nutzen bezieht sich aber nur auf Fußpilz, nicht auf Gesundheit allgemein. Um eine solche Aussage machen zu können, müsste ich alle wesentlichen Nebenwirkungen mit erfassen, besonders den Einfluss auf die Lebensdauer. Auch bezieht sich A nicht auf die Ursache von Fußpilz. Die ist nämlich nicht Sport, sondern die damit verbundene Benutzung schlecht desinfizierter Umkleideräume. Die Aussage, Sport ist die Ursache von Fußpilz, ist somit nicht durch den Grad A gedeckt. Also selbst die höchste Empfehlung erlaubt meist nur ganz spezifische Aussagen und keine allgemeinen Einschätzungen. Selbst bei bester Studienlage bestehen immer noch viele Fehlermöglichkeiten, dies liegt in der Natur von Statistik.
    Die EBM will letztlich nur Ordnung in dasWirrwarr medizinischer Daten bringen, sodass nutzlose oder sogar schädlicheTherapien schneller erkannt werden und sich guteTherapien besser durchsetzen können. Dabei wirkt sie wie ein Studien- TÜV .Therapien, die eine Plakette mit hohen Empfehlungsgraden erhalten, werden mit höhererWahrscheinlichkeit tatsächlich helfen.Werden nur niedrige Grade vergeben, sind die Aussagen nur spekulativ und sollten stets kritisch begleitet werden.Wäre der Studien- TÜV nicht nur auf dem Papier, sondern auch im medizinischen Alltag der Maßstab, hätte schlechte Medizin viel weniger Chancen.
    Der Goldstandard: Die systematische Übersichtsarbeit
    In der Praxis hat sich zunehmend einVerfahren etabliert, mit dem sich mit sehr hoherWahrscheinlichkeit der Nutzen einerTherapie oder einer Gesundheitsempfehlung beurteilen lässt. Es ist die systematische Übersichtsarbeit, international spricht man von einem systematic review. Sie gilt als der Goldstandard in der medizinischen Anwendungsforschung.
    Wenn ein Institut eine systematische Übersichtsarbeit durchführt, geht es folgendermaßen vor: Man definiert genau, was man untersuchen möchte, zum Beispiel, ob Nahrungsfett Krankheiten auslöst, ob Medikament A die Spätfolgen von Diabetes reduziert oder ob man bei Krankheit B operieren sollte oder nicht. Dann sichtet man alle Studien, die zu diesem Thema in wissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert wurden. Dies geht relativ einfach über Suchdienste im Internet, kann aber sehr umfangreich werden. Je nach Fragestellung findet man dann bis zu 20 000 Studien. Nun werden diese Studien anhand der EBM -Klassen eingeteilt und solche mit Champions-League-Qualität herausgefiltert. Das ist schon aufwendiger und kann oft nur durch ein qualifiziertes Team erfolgen. Als Nächstes werden die Aussagen dieser Champions-League-Studien miteinander verglichen. Stimmen sie überein oder gibt es Widersprüche? Bei unserer NaFu-2-Studie gab es solche Widersprüche: Wir empfahlen, Sport zu meiden, um Fußpilz zu verhindern, während eine andere Studie nur das Meiden unhygienischer Umkleidekabinen empfahl. In solchen Fällen bittet das Team die Autoren der Studie um weitere Informationen bis hin zum Zugang zu den Originaldaten, um vielleicht durch Untergruppenbildung doch noch eine Übereinstimmung zu finden. Dadurch können Aussagen hochwertiger Studien nachträglich deutlich präzisiert werden. Ergibt dann eine solche Übersichtsarbeit den Empfehlungsgrad A, dann kann man mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die meisten Menschen von solch einer Empfehlung profitieren würden.
    Ich kenne in Deutschland nur sehr wenige Institutionen, die solche systematischen Übersichtsarbeiten nach EBM -Kriterien glaubwürdig durchführen. Die schlagkräftigste ist das Institut für Qualität undWirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, kurz IQW i G , mit Sitz in Köln (siehe auch das Kapitel » Zum Wohle des Patienten? « ). Das IQW i G wurde 2004 gegründet als eine Einrichtung einer gleichnamigen Stiftung, in der alle wesentlichen Akteure des deutschen Gesundheitssystems vertreten sind, von den Krankenkassen bis zum Gesundheitsministerium. Die vordringlichste und gesetzlich definierte Aufgabe des IQW

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