Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
Patienten. Nähme man den heute geltenden Cholesterinnormwert für dieTeilnehmerinnen der Framingham-Studie zum Maßstab, dann wären 90Prozent von ihnen therapiebedürftig, obwohl keine der Frauen ein besonderes Risiko aufwies, an der koronaren Herzkrankheit zu erkranken. Und dieVersäumnisse von damals schlagen sich zuhauf in vielen der nachfolgenden Studien zumThema Cholesterin nieder.
Ein Beispiel aus eigener Erfahrung: Nach einer Radiosendung, in der ich medizinische Fragen der Hörer beantwortete, bekam ich einen Anruf von einem wissenschaftlichen Leiter eines großen deutschen Lebensmittelkonzerns, der mir juristische Schritte androhte. Ich hatte in der Sendung einer Hörerin gesagt, dass Butter nicht gesundheitsschädigend sei und sie deshalb nicht auf Margarine umsteigen müsse. Dem wissenschaftlichen Leiter erwiderte ich, man möge mir doch einfach aussagekräftige Informationen zusenden, die zeigten, dass Margarine gesünder sei als Butter, und ich würde mich ohne Weiteres in der nächsten Sendung korrigieren. Mir geht es nicht darum, recht zu haben, sondern ich will meine Patienten lediglich auf dem Boden solider Informationen beraten. Daraufhin bekam ich das übliche Werbematerial für Ärzte, Hochglanzkurven ohne Aussagekraft. Dann bat ich um eine kontrollierte Studie. Daraufhin schickte er mir eine Studie, die ich schon kannte. Diese hatte jedoch nichts mit Margarine zu tun, sondern beschäftigte sich mit dem cholesterinsenkenden Medikament Statin. Die Studie zeigte, dass bei Männern die medikamentöse Absenkung des LDL , des sogenannten »bösen« Cholesterins im Blut, eine Senkung der Herzinfarktrate bewirkt. Diese Studie wird immer wieder herangezogen, um die Verschreibung von Cholesterinsenkern bei erhöhten Normwerten zu rechtfertigen. Ich teilte nun dem wissenschaftlichen Leiter mit, dass es in dieser Studie nicht um Margarine gehe, ich die Studie aber dennoch für wichtig erachte. Allerdings fehlt zur Beurteilung des Nutzens einer Cholesterinsenkung noch die Antwort auf die Frage, ob Männer mit einem niedrigeren Cholesterinspiegel dann auch länger leben. Daraufhin erhielt ich einen Brief, in dem wortwörtlich steht, dass es ihm leidtue, mit solchen Studien nicht dienen zu können, weil der Lebensmittelindustrie die Mittel fehlen würden, Studien zu finanzieren, die die Gesamtsterblichkeit mit erfassen.
Dabei sind solche Zahlen durchaus verfügbar. Gesunde Männer mit hohem Cholesterinspiegel erleiden zwar tatsächlich weniger Herzinfarkte, wenn der Cholesterinspiegel abgesenkt wird, aber sie leben nicht länger. Das wiederum legt den Schluss nahe, dass sie vermehrt andere Erkrankungen bekommen, weshalb es eben wissenschaftlich nicht begründet ist, generell eine Senkung des Cholesterinspiegels zu empfehlen. Bei Frauen lässt sich übrigens nicht einmal eine niedrigere Herzinfarktrate messen nach Absenkung des Cholesterinwertes.
Nach heutigem wissenschaftlichem Erkenntnisstand sollte man bei der Beurteilung des Gefährdungsgrades 4 Patientengruppen unterscheiden:
Menschen mit schweren Herz- oder Gefäßerkrankungen, also Patienten, die bereits einen Herzinfarkt erlitten haben oder unter starken Gefäßablagerungen zum Beispiel in den Herzkranzgefäßen leiden (koronare Herzkrankheit). Diese Menschen haben zudem oft Beschwerden, wie sie eine Angina pectoris begleiten, das heißt Schmerzen in der Brust bei körperlicher Anstrengung. Hier besteht schon eine Erkrankung, und dieVerhütung weiterer Schäden bezeichnet man als Sekundärprävention.
Menschen ohne schwereVorerkrankungen, also Menschen, die keine entsprechenden Krankheitssymptome haben.Wenn man solchen Menschen empfiehlt, Medikamente einzunehmen, um späteren Krankheiten vorzubeugen, spricht man von Primärprävention.
Menschen mit einer erblichenVeranlagung zu Herz- oder Gefäßerkrankungen, also Menschen, in deren Herkunftsfamilie Herzinfarkte oder Schlaganfälle in relativ jungem Alter aufgetreten sind.
Menschen, die folgende Merkmale aufweisen: eine echte Zuckerkrankheit, also keine » Prädiabetiker « , Raucher sowie Menschen, die lang anhaltendem, seelisch belastendem Stress ausgesetzt sind.
Für Menschen der ersten Gruppe erweisen sich Statine als geeignet. Sie senken das Risiko, einen zweiten Herzinfarkt zu bekommen. Bei den Patienten dieser Gruppe kann man einen lebensverlängernden Effekt durch Medikamenteneinnahme nachweisen. Es kann jedoch kein Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Cholesterinsenkung und dem Risiko,
Weitere Kostenlose Bücher