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Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)

Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)

Titel: Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Frank
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einen weiteren Herzinfarkt zu bekommen, aufgezeigt werden. Die Medikamente wirken also unabhängig davon, wie stark der Cholesterinspiegel gesenkt wird. Somit kann man sagen, dass der Grund für die Einnahme der Medikamente nicht der erhöhte Cholesterinspiegel ist, sondern die bestehende Herz- oder Gefäßerkrankung. Ein optimaler Cholesterinwert lässt sich mit Studiendaten derzeit nicht begründen. Dies macht durchaus Sinn, wenn man sich daran erinnert, woraus Statine hergestellt werden, nämlich aus Pilzen, ähnlich wie Penicillin. Dies legt eine ganz andereWirksamkeitshypothese nahe. Statine wirken an den Gefäßwänden infektions- und entzündungshemmend.Vielleicht können sie deshalb bei bestehendenVorerkrankungen, bei denen also schon Plaques in den Gefäßen gebildet wurden, positiv wirken. Die Cholesterinsenkung wäre dann gar nicht die gewünschteWirkung, sondern nichts als eine Nebenwirkung, die man in dieser Gruppe jedoch guten Gewissens verantworten kann.
    Die zweite ist die mit Abstand größte Gruppe. Allein in den USA wurden durch Absenkung des Cholesterinnormwertes von 240 auf 200mm / dl plötzlich 40Millionen Gesunde zu Patienten gemacht, die eine Primärprävention benötigen. Doch es existieren keine überzeugenden Belege dafür, dass eine allgemeine Normwertfestlegung, um das individuelle Risiko eines einzelnen Menschen festzustellen, Sinn ergibt.Von der Höhe des Cholesterinwertes lässt sich nicht zuverlässig auf den Gefährdungsgrad schließen. Ebenso wenig gibt es Belege dafür, dass die Menschen dieser Gruppe von einer Cholesterinsenkung profitieren. Gesunde Männer, denen durch Statine der Cholesterinspiegel gesenkt wurde, haben zwar marginal weniger Herzinfarkte, aber leben nicht länger, weil sich die Nebenwirkungen auch lebensverkürzend auswirken können. Bei Frauen gibt es schon gar keinen Nutzenbeleg. Über 70-Jährige haben möglicherweise ein erhöhtes Krebsrisiko bei Einnahme von Statinen. Die Nutzen-Schaden-Bilanz fällt meiner Meinung nach eher negativ aus, vor allem bei älteren Patienten dieser Gruppe ist von Medikamenten abzuraten.Wenn wir davon ausgehen, dass Statine über eine Entzündungshemmung bei bestehenden Plaques wirken, dann macht diese Beobachtung plötzlich durchaus Sinn. Nur bei den wenigen Menschen, die unentdeckte Plaques haben, wirkt dann dieses Medikament, die übergroße Mehrheit setzt man nur den Nebenwirkungen aus.
    Bei Menschen, die zur dritten Gruppe gehören, gibt es Hinweise darauf, dass das Risiko, einen frühen Herzinfarkt zu bekommen, mehr genetische Ursachen hat, als bisher angenommen. Dies gilt nicht nur für Menschen mit einem vererbbaren, extrem hohen Cholesterinspiegel, sondern auch für Menschen mit » normalem « Cholesterinwert.
    Die vierte Gruppe ist für die Forschung am interessantesten. Diabetes, Rauchen, lang anhaltender Stress– all dies belastet auch das Immunsystem und damit die körpereigene Abwehr, die dazu dient, Entzündungen auch an den Gefäßwänden entgegenzuwirken.Wenn also Statine bei diesen Menschen wirken– und dafür gibt es insbesondere bei Diabetes Hinweise–, dann vielleicht genau aus diesem Grund. Auch hier geht es nicht um Cholesterinwerte, sondern um eine erhöhte Entzündungsgefahr.
    Somit wundert es nicht, wenn ein erfahrenerWissenschaftler wie Frank P. Meyer, ehemaliger Institutsdirektor der Klinischen Pharmakologie an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg, folgende Schlüsse zieht: » Über ein halbes Jahrhundert wurde uns von interessierter Seite (Pharmaindustrie, Lebensmittelindustrie,Verlage, Apotheker, Ärzte) die Cholesterol-Legende präsentiert. In 15 guten Studien wurde demonstriert, dass der Effekt der Lipidsenker hinsichtlich der Primärprävention gegen null geht und im Hinblick auf die Sekundärprävention nur sehr marginal ist. In HPS ( Heart Protection Study, 2002) wurde von den Autoren explizit auf die Bedeutungslosigkeit des Cholesterols verwiesen.Wie man aus der aktuellen Literatur entnehmen kann …, können Legenden jedoch sehr zählebig sein. « Professor Meyer gilt als profunder Kenner dieser Missstände, und ich nenne ihn hier stellvertretend für viele andere. In einemTelefonat im September 2011 bestätigte er mir nochmals seine Überzeugung und sparte nicht mit deutlichenWorten.
    Man kann also mit gutem Recht behaupten, der Cholesterinwert war von Anfang an kein aussagekräftiger Risikofaktor. Dabei gilt wie bei allen biologischen Merkmalen die banale Feststellung, dass

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