Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
Hausaufgaben nicht gemacht. Oder wie soll man die konsequenteNichtbeachtung wissenschaftlicher Fakten eigentlich nennen?
Wer sich über den Stand des statistischenWissens zumThema Prävention und Lebensstil informieren möchte, findet bei Ingrid Mühlhauser Rat, Professorin an der Universität Hamburg. Sie hat auf diesem Gebiet in Deutschland den besten Überblick, was als wissenschaftlich gesichert gelten kann, und was nicht.
Meilenstein Rauchen
Es ist heute statistisch eindeutig belegt, dass ein Raucher, wenn er aufhört zu rauchen, länger lebt. Je früher er aufhört, umso besser. Empfehlungen, mit dem Rauchen aufzuhören oder besser erst gar nicht damit anzufangen, machen also medizinisch Sinn. Das ist die einzige Behauptung aus der Framingham-Studie, die in gut gemachten und seriös interpretierten Studien bestätigt wird.
Obwohl die anderen Aussagen der Framingham-Studie von Anfang an leicht zu widerlegen gewesen wären, haben sie sich dennoch durchgesetzt. Der Erfolg der Framingham-Studie und die vielen medizinischen Karrieren, die darüber möglich wurden, haben für mich bis heute den Maßstab gesetzt, wie man mit manipulativem DatenumgangTherapien in der Medizin etabliert.
5 In meinem Buch Lizenz zum Essen analysiere ich umfassend den Wissensstand zu den Themen Ernährung und Gewicht und im Lexikon der Fitnessirrtümer kläre ich zusammen mit dem Lebensmittelchemiker Udo Pollmer und der Biologin Susanne Warmuth die Mythen über den Zusammenhang von Fitnesssport, Gesundheit und Gewicht auf.
6 Weiterführend Udo Pollmer, Susanne Warmuth, Gunter Frank: Lexikon der Fitnessirrtümer
Zum Wohle des Patienten? Wem die Lehrmeinung in Wahrheit dient
Die Hüter über die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens in der Medizin sind die Hochschulen und die dort tätigen Professoren und Chefärzte. Lehre und Forschung gehören in unserer Hochschulphilosophie zusammen und sollen garantieren, dass Studenten anhand der neuesten Erkenntnisse ausgebildet werden. Um dies zu leisten, müssen die Professoren jedoch in der Lage sein, nach den Regeln guter Medizin Bekanntes stets zu überprüfen, neue Erkenntnisse objektiv und unabhängig zu diskutieren, zu prüfen und die Lehrmeinung dann nach sorgfältiger Abwägung anzupassen. Sie haben auch dieVerpflichtung, Fehler ohne Rücksicht auf Gesichtsverlust der alten Meinungsführer zu revidieren, um Schaden vom Patienten abzuwenden. Die Professoren an den medizinischen Fakultäten der Hochschulen haben somit die Aufgabe, uns vor schlechter Medizin zu schützen. Genau dafür werden sie aus Steuergeldern der Gemeinschaft bezahlt.
Und sie legen schließlich auch selbst höchstenWert darauf, dass man sie an diesem Anspruch misst. Aus diesem Grund war dieWissenschaftswelt äußerst aufgebracht, als Anfang 2010herauskam, dass der damaligeVerteidigungsministerKarl-Theodor zu Guttenberg bei seiner Doktorarbeit in großem Ausmaß » geschummelt « hatte. 20Prozent seinesTextes waren teils wörtlich, teils leicht verändert von anderen Autoren übernommen worden, ohne die Herkunft überhaupt oder fachlich korrekt zu benennen. Keine Kleinigkeit, zumal ein Doktorand vorher schriftlich versichert, dass er seine Arbeit eigenständig, ohne die Hilfe Dritter verfasst und nur mit den angegebenen Quellen und Hilfsmitteln angefertigt hat. Über 20 000Wissenschaftler unterschrieben einen offenen Brief an die Bundeskanzlerin, in dem unter anderem Folgendes zu lesen war:
» Die meisten von uns unterrichten zudem jüngere Studierende. Nicht selten ist es unsere Aufgabe, ihnen die Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens zu vermitteln.Wir halten die Studierenden dabei dazu an, von Anfang an sehr genau darauf zu achten, korrekt zu zitieren und jedes Hilfsmittel als solches kenntlich zu machen.Wir tun dies nicht, weil wir ›Fußnotenfanatiker‹ sind oder im ›Elfenbeinturm‹ sitzen und nicht wissen, was im wahren Leben zählt. Es geht uns schlicht darum, dasVerständnis dafür weiterzugeben, dass wissenschaftlicher und damit gesellschaftlicher Fortschritt allein dann möglich ist, wenn man sich auf die Redlichkeit in der ›scientific community‹ verlassen kann. … Durch die Behandlung der Causa Guttenberg als Kavaliersdelikt leiden derWissenschaftsstandort Deutschland und die Glaubwürdigkeit Deutschlands als ›Land der Ideen‹. «
Das sind klareWorte. 20 000Wissenschaftler beschrieben in diesem Brief, wie sie ihre eigene Arbeit als deutscheWissenschaftler wahrnehmen, nämlich als ehrlich und
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