Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
Gesellschaft für Angiologie ( Gefäßmedizin) oder die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin repräsentiert. Jede Fachgesellschaft soll nachVorgaben der AWMF die Behandlungsleitlinien für ihr Fachgebiet erstellen, die Deutsche Hochdruckliga also die Leitlinien für Bluthochdruck, die Deutsche Diabetes Gesellschaft jene für die Behandlung von Zuckerkrankheit. Und auf genau diese Leitlinien verwiesen mich alle angeschriebenen Institutionen.
In der Praxis werden die Leitlinien zumeist von Hochschulprofessoren verantwortet und können auf der Homepage der AWMF aufgerufen werden. Um ihre Qualität zu sichern, werden die Fachgesellschaften auch in Deutschland dazu angehalten, ihre Leitlinien nach den Regeln für gute Medizin, also der Evidenzbasierten Medizin ( EBM ), die mittlerweile international anerkannt sind, zu erstellen. Damit jeder schnell beurteilen kann, ob eine Leitlinie auf qualitativ hochwertigen Quellen basiert, sollen sie mit Evidenzklassen versehen werden. Es ist unabdingbar, dass die darauf fußenden Empfehlungsgrade fachlich korrekt vergeben werden. Doch anders als bei derVergabe von Hotelsternen, die von einer übergeordneten Stelle, dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband e. V. ( DEHOGA ), vergeben und überprüft werden, unterziehen dieAutoren die Quellen ihrer medizinischen Leitlinien zwar einem Studien- TÜV , vergeben die Empfehlungsgrade aber selbst. DieVertreter der Lehrmeinung gehen zwar zum TÜV , prüfen aber selbst und geben sich anschließend selbst die Plakette. Eine Qualitätssicherung, wie sie für unsere Autos entwickelt wurde, hat die Medizin offenbar nicht nötig.
Man geht also davon aus, dass die Fachgesellschaften dazu in der Lage sind, den Studien- TÜV korrekt durchzuführen. Und genau da liegt das Problem. Selbstverständlich kann ich als einzelne Person die Leitlinien von 153Fachgesellschaften nicht alle bewerten und überprüfen. Es sind sicher sorgfältig erstellte und hochwertige Leitlinien darunter. Aber in den Gebieten, auf die ich spezialisiert bin, sowohl als praktisch tätiger Arzt als auch durch Studium der entsprechenden internationalen Literatur, stoße ich auf viele Ungereimtheiten in den Leitlinien. Das betrifft zum Beispiel die Adipositas-Leitlinien (Fettsucht-Leitlinien), die Leitlinien der Diabetologen, der Herzspezialisten, für Krebsvorsorge, der Ernährungsmediziner. Hier hege ich große Zweifel bezüglich ihrer soliden Basis, und das ist ein ernsthaftes Problem. Zwar betonen alle Institutionen, es handle sich bei diesen Leitlinien nicht um bindendeTherapieempfehlungen an die Ärzte, und jeder Arzt könne selbst entscheiden, ob er sich daran hält. Doch machen wir uns nichts vor: Was passiert einem praktizierenden Arzt denn im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung wegen einer angeblich falschen Behandlung? Der Richter würde Gutachter bestellen, und zwar genau aus dem Umkreis der AWMF , denn sie gilt als höchste fachliche Instanz, und anschließend im Sinne solcher Leitlinien entscheiden. De facto ist der stark bindende Charakter der Leitlinien gegeben.
Nehmen wir als Beispiel die evidenzbasierte Adipositas-Leitlinie. In der Leitlinie » Prävention undTherapie der Adipositas « von 2007, herausgegeben von der Deutschen Adipositas-Gesellschaft, der Deutschen Diabetes Gesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin, erstellt von den führenden Hochschulprofessoren der entsprechenden Universitätsinstitute, kann man Hypothesen lesen, die längst widerlegt sind. So wird zum Beispiel erklärt, dass Übergewichtige mehr an Zuckerkrankheiten, Herzkrankheiten, Gicht oder Asthma leiden, verschwiegen wird jedoch, dass Übergewichtige oft länger leben! Sie überstehen eine Krankheit oft besser.Weiter heißt es in den Leitlinien, dass Übergewichtige häufiger Krankheiten haben, und zwar umso mehr, je übergewichtiger sie sind, gemessen an einem angeblichen Normalgewicht. Auch dieser Zusammenhang lässt sich mitnichten halten. Sichtet man die weltweit verfügbaren Studien, muss man zu dem Schluss kommen, dass zwar extrem dünne und extrem dicke Menschen gesundheitliche Nachteile haben, die Millionen Molligen dazwischen jedoch mindestens genauso gesund sind wie Schlanke, besonders in höherem Alter.Wieso lesen wir davon nichts in einer evidenzbasierten Leitlinie?
Da wir dasThema der gesundheitlichen Gefahr durch Fettverzehr schon umfassend als Marketingmaßnahme entlarvt haben, schauen wir
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