Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
danken der Knoll Deutschland GmbH und der Knoll AG sowohl für die finanzielle als auch die personelle Unterstützung bei der Erstellung undVerbreitung dieser Leitlinie. Das Diabetes-Forschungsinstitut an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf führt in Zusammenarbeit mit dem Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft an der Universität zu Köln und der Knoll Deutschland GmbH eine Kosteneffektivitätsstudie desWirkstoffs Sibutramin durch. ProfessorWirth ist Leiter einer klinischen Prüfung zurWirksamkeitsprüfung von Sibutramin. «
Das machte mich stutzig. Sibutramin war bis zu seinemVerbot 2010 der am meisten verkaufte Appetitzügler, mit dem die damalige Herstellerfirma Knoll seit seiner Einführung 1998 ein sehr gutes Geschäft gemacht hatte. Doch Sibutramin stand von Anfang an unterVerdacht, bei nur geringem Abnehmerfolg massive Nebenwirkungen auszulösen. Jetzt geht es also nicht mehr nur um unser Frühstück, sondern ummögliche Todesfälle.
Auf Seite43 der Leitlinien lesen wir zu Sibutramin Folgendes:
» Randomisierte, kontrollierte Studien haben bei adipösen Patienten eine dosisabhängige Gewichtsreduktion gezeigt …, die über einen Zeitraum von 12Monaten aufrechterhalten werden konnte (Bray et al., 1994; Jones et al., 1995; Evidenzklasse 1b). Die Gewichtsabnahme war mit einer Abnahme des Quotienten ausTaillen- und Hüftumfang sowie einerVerbesserung der Plasmalipid- und Blutglukosewerte verbunden (Griffiths et al., 1995). Nebenwirkungen von Sibutramin sind Übelkeit, trockener Mund, Obstipation [Verstopfung], Schwindel und Schlaflosigkeit. Geringe Erhöhungen der Blutdruckwerte (im Mittel 3 bis 5mmHg) und der Herzfrequenz (im Mittel 4 bis 5Schläge pro Minute) wurden ebenfalls festgestellt. … Die blutdrucksteigerndeWirkung der Substanz wird imVerlauf der Behandlung durch den gewichtsbedingten Abfall des Blutdrucks mehr als aufgehoben (Lean, 1997a). Die Zulassung von Sibutramin wurde beantragt. «
Das halte ich für einen echten Skandal. Der unabhängige Arzneimitteldienst arznei-telegramm (a-t) schreibt dazu 1998, also im selben Jahr: » Nach Absetzen von Sibutramin steigt das Gewicht ›wie erwartet‹, am schnellsten bei denen, die am meisten abgenommen haben (Jo-Jo-Effekt). In einer zwölfmonatigen Studie ist nach 6 Monaten die maximale Gewichtsabnahme erreicht (3bis 4kg mehr durch 10 – 15mg Sibutramin als unter Placebo) und bleibt für weitere 6 Monate weitgehend konstant mit einerTendenz zur Gewichtszunahme am Ende des Jahres. « Entscheidend ist das Fazit des arznei-telegramms: » UnerwünschteWirkungen und ungeklärte Risiken– zum Beispiel Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz bei Sibutramin– können das medikamentöse Abspecken zurTortur machen bzw. mehr Schaden als Nutzen anrichten. Behauptete positive Auswirkungen auf Laborwerte sind erst dann relevant, wenn sie sich im Langzeitversuch bestätigen und die Lebenserwartung günstig beeinflussen. Hierzu fehlen Daten.Wir raten von derVerwendung wegen der zumTeil beträchtlichen unerwünschten Folgen ab. «
Obwohl also ganz wesentliche Fragen nicht beantwortet sind, die eine ernst zu nehmende Gefahr für die Gesundheit darstellen, empfahl Karl Lauterbach, das Medikament in Deutschland zuzulassen, und rechtfertigt diese Empfehlung mit Studien der höchsten Kategorie 1b. Folgerichtig wurde Sibutramin (der Markenname lautete Reductil) am 1. 9. 1999 zugelassen und mit den üblichen Abnehmversprechen beworben. Da die Lauterbach’schen Leitlinien Abnehmen als gesund deklarieren, glauben die Menschen sogar, etwas für ihre Gesundheit zu tun, wenn sie Abnehmpillen kaufen. Dies dürfte denVerkauf weiter angekurbelt haben. Da aber der Jo-Jo-Effekt nach Absetzen nicht lange auf sich warten ließ, musste das Medikament dauerhaft eingenommen werden – zu einemTagespreis von damals 10 bis 15Deutsche Mark, das entspricht etwa 200Euro pro Monat. Ein einträgliches Geschäft. 1999 warnte das arznei-telegramm nochmals eindringlich vor zu erwartenden negativen Auswirkungen auf die Herzgesundheit sowie vor gefährlichem Lungenhochdruck und riet erneut von der Anwendung ab.
2002 wurde nach Berichten von schweren Nebenwirkungen und sogarTodesfällen in den ersten Ländern die Zulassung von Sibutramin zurückgenommen. » Das italienische Gesundheitsministerium hat am 6.März 2002 denVertriebsstopp Sibutramin-haltiger Appetithemmer angeordnet. Auslösend sind 50Berichte über unerwünschteWirkungen, von denen 2tödlich verlaufen
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