Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
sind. «
Und das arznei-telegramm warnte weiter: » Auch das vor 3 Jahren eingeführte Antiadipositum Sibutramin ( REDUCTIL ) kam gegen Expertenrat auf den Markt. Die klinische Prüfung ließ bereits vor der Zulassung bei geringem Einfluss auf das Körpergewicht Anstiege des Blutdrucks erkennen, die für Übergewichtige gefährlich sein können. Die FDA [die behördliche Arzneimittelzulassungsbehörde der USA ] überblickt derzeit 29Todesfälle inVerbindung mit Sibutramin, darunter 19 aus kardiovaskulärer Ursache, einschließlich Herzinfarkt. Bei 143Patienten sind Arrhythmien beschrieben. In den internen Zulassungsdossiers der FDA findet sich die Einschätzung, dass Sibutramin wesentliche Übergewicht-bedingte Begleiterkrankungen nicht verbessert, sondern in einigen Fällen verschlechtert. «
Im Jahr 2009 wurden Ergebnisse von Langzeitstudien veröffentlicht, die dieWarnungen von 1998 bestätigten. ImVergleich zu einer Placebo-Gruppe kam es bei Übergewichtigen unter Einnahme von Sibutramin deutlich häufiger zu Schlaganfällen, Herzinfarkten undTodesfällen. 2010 konnte das a rznei-telegramm dann vermelden: » Endlich: Appetithemmer Sibutramin ( REDUCTIL ) vom Markt. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA empfiehlt seit Januar 2010 das Ruhen der Zulassung des Appetithemmers Sibutramin ( REDUCTIL ). «
12 Jahre hat es gedauert, bis Abnehmwillige– und wer ist das heute nicht– vor einem gefährlichen Medikament geschützt wurden. 12 Jahre hat es gedauert, bis die von Anfang an bestehendenWarnungen endlich zum Entzug der Zulassung geführt haben. 12 Jahre nachdem die verharmlosende Leitlinie unter der Aufsicht von Prof. Lauterbach die deutsche Zulassung von Sibutramin befürwortet hatte und dieser sich bei der Erstellung vom Hersteller finanziell und personell hatte unterstützen lassen.
Die finanziellen Zuwendungen zum Erstellen der Leitlinie dürften sich bis dahin als Investition mehr als gelohnt haben, aber war dieGefahr von Todesfällen nicht voraussehbar?
Das alles scheint Lauterbach nicht zu bedrücken. Noch Ende 2009 (!) lässt er mir diese Leitlinien als Beleg für seine wissenschaftliche Unangreifbarkeit zusenden. Zu dieser mit » besten, verfügbaren Beweisen « erstellten Leitlinie zieht das arznei-telegramm schon 1999 folgendes Fazit: » Für ärztliche Ermahnungen an gesunde Übergewichtige zum Abnehmen, jetzt auch in Form einer ›Evidenz-basierten‹ Leitlinie, gibt es keine valide Datenbasis. Die derzeit beste Evidenz lässt keinen Nutzen im Sinne eines verringerten Mortalitätsrisikos durch Abnehmen erkennen. Es gibt vielmehr Hinweise, dass das Sterblichkeitsrisiko dieser Menschen durch Gewichtsreduktion sogar zunimmt. Das gesellschaftlich vorherrschende Schönheits- und Gesundheitsideal setzt übergewichtige Menschen einem starken psychosozialen Druck aus und diskriminiert sie. Bevor gesicherte Empfehlungen für gesunde Übergewichtige ausgesprochen werden können, sind die Ergebnisse randomisierter Interventionsstudien abzuwarten. «
Auf gut Deutsch, diese Leitlinie ist nutzlos bis gefährlich. Da sie ihre Empfehlungen sogar irreführenderweise mit höchsten Gütekriterien wissenschaftlicher Qualität versieht, stellt sie in meinen Augen eine vorsätzliche und gesundheitsgefährdende, von der Firma Knoll finanzierte und unterstützte Irreführung der Bevölkerung dar. So viel zumThema Faktencheck.
Was sagte Karl Lauterbach in seiner Guttenbergrede vor dem Deutschen Bundestag: » Der einzige Arbeitsplatz, wo man trotz Abschreibe, trotz Plagiat, trotz wissenschaftlicher Fehlversuche seinen Arbeitsplatz nicht verliert, ist im Kabinett von Frau Merkel, überall sonst fliegt man raus, meine Damen und Herren. «
Offensichtlich gilt dies jedoch nicht für ihn.
Aber leider geht es bei derartigen Missständen nicht um Einzelpersonen. Es ist das medizinischeWissenschaftssystem, das Irreführung und Betrug begünstigt.
Der Expertenkonsens
Spätestens jetzt wird deutlich, wie wichtig es ist, dass im Studien- TÜV eine Expertenmeinung nur den niedrigsten Empfehlungsgrad D erhält. Selbst wenn alle führenden Kardiologen derWelt sich zusammensetzen und sich darauf einigen würden, dass zum Beispiel die Senkung des Cholesterinspiegels ab einem Blutwert von 200mg / dl medikamentös behandelt werden sollte, bekommt dieser sogenannte Expertenkonsens den niedrigsten Stellenwert, wenn er sich nicht auf Studien beziehen kann, die Meinung also nicht statistisch überprüft wurde. Ist das eine
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