Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
oben genannte AWMF . Hier sollen Autoren fachübergreifende evidenzbasierte Leitlinien zu einem speziellen Krankheitsbild praxisnah erstellen und dabei einen Konsens zwischen allen beteiligten Fachgesellschaften herbeiführen. Die Erarbeitung und Finanzierung wird dem Ärztlichen Zentrum für Qualität ( ÄZQ ) unterstellt, welches als GbR agiert. Eigentümer sind die Bundesärztekammer und die KassenärztlicheVereinigung.
Weil fast jedes Krankheitsbild auch die Hausärzte betrifft, wird nun dieVertretung der Allgemeinärzte, die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin ( DEGAM ), sehr oft hinzugezogen, und das hat Folgen. Bisher blieben die Leitlinien zu einem Krankheitsbild wie Diabetes in der Hand der Fachärzte. Und diese verdienen besser, wenn die Krankheit bei möglichst vielen Patienten diagnostiziert wird, die dann möglichst vieleTherapien brauchen. Da die korrekte Interpretation der Studien unter Umständen aber bedeuten würde, dass es deutlich weniger Patienten mit einer solchen Erkrankung gäbe und man auch bei derVergabe vonTherapien deutlich zurückhaltender wäre, tun sich die Fachgesellschaften damit offensichtlich sehr schwer. Ich kenne kaum einen Hochschulprofessor, der sich zu den hier vorgestellten Zuständen öffentlich kritisch und lautstark äußern würde. Höchstens dann, wenn er in Pension ist. Einige der wenigen Ausnahmen werden in diesem Buch gewürdigt.
Aber inzwischen regt sich unter den Hausärzten innerhalb der DEGAM vermehrt Unmut. Ich kenne einige hervorragende Kollegen, die sich im Rahmen der NationalenVersorgungsleitlinien engagieren, um endlich zu korrekten Ergebnissen zu kommen, und das, obwohl sie umsonst arbeiten und ohne Pharmasponsoring. So zeigte zum Beispiel die Überprüfung der Behandlung von Diabetes in den letzten großen Studien desaströse Ergebnisse.Typ - 2-Diabetiker (Altersdiabetes), die nach bisherigenVorgaben normwertnah eingestellt wurden, lebten kürzer als diejenigen, die eher an der langen Leine gehalten wurden. Also da, wo die Behandlung mit Ernährungsberatung, Sportprogrammen und engmaschig kontrollierter Medikamentenverordnung genau durchgeführt wurde, verstarben mehr Menschen. Insbesondere durch tödliche nächtliche Unterzuckerung. Die Diabetesleitlinie der Deutschen Diabetes Gesellschaft versucht dieses Desaster abzuschwächen, indem sie in ihrem Kommentar darauf hinweist, dass solche Studien unter besonderen » Umständen « durchgeführt wurden. Doch sie sind hochwertig und aussagekräftig und sollten zum Anlass genommen werden, bei der Forderung,Typ-2-Diabetiker streng einzustellen,Vorsicht walten zu lassen. Es existieren zwar auch kleinere Studien, die einen positiven Effekt einer intensiven medikamentösen Behandlung zeigen. Doch hier wurden Patienten mit bereits eingetretenen Folgeschäden an den Nieren ausgewählt, was lediglich bedeutet, dass der Schutz der kranken Nieren durch die intensive Medikation die dadurch ausgelösten Fälle tödlicher Unterzuckerung zahlenmäßig übersteigt.Wie so oft reden wir über guteTherapien, die aber alle zu früh und zu umfangreich angesetzt werden.Wenn es nämlich darum geht, Überdiagnosen und Übertherapien zu rechtfertigen, haben Fachgesellschaften keine Skrupel, völlig wertlose Studien als Begründung heranzuziehen.
Einige engagierte Hausärzte akzeptieren dieses Messen mit zweierlei Maß inzwischen nicht mehr und durchschauen auch zunehmend die Inkompetenz an den Universitäten. Sie drängen nun darauf, Behandlungsempfehlungen, die im Rahmen der NationalenVersorgungsleitlinien gegeben werden, wenn nötig zu korrigieren, auch wenn dies für sie weniger Patienten, weniger Behandlungen und weniger Umsatz bedeuten könnte.
Der Geburtsfehler der NationalenVersorgungsleitlinien besteht darin, dass sie die sich teils widersprechenden Einzelleitlinien zu einem Konsens führen sollen.Wie muss man sich das vorstellen?Wie stellt man einen Konsens her zwischen denVertretern der Meinung » Die Erde ist eine Scheibe « und jenen mit der Auffassung » Die Erde ist eine Kugel « ? Geht es da noch um das Feststellen der bestenTherapievorschläge? Und sagt man dann: » Die Erde ist eine gewölbte Scheibe « ?Was bedeutet dies für die richtige oder falsche Behandlung von Patienten?Wer den Konsens in einer medizinischen Leitlinie sucht, möchte eine halb richtige oder halb falsche Behandlung erreichen. Spätestens jetzt muss man den Fachgesellschaften die Frage stellen, für wen sie
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