Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
wissenschaftlicheWürdenträger versagen dabei. Und an den Universitäten gibt es noch keine effektive Eigenkontrolle.
Eine leistungsfähige Pharmaindustrie ist entscheidend für eine leistungsfähige Medizin. Gute, sichere und innovative Medikamente bringen uns voran im Kampf gegen Leid und frühzeitigenTod. Dafür soll die Pharmaindustrie auch viel Geld bekommen, um eine gute Forschung und sichere Herstellung zu gewährleisten. Problematisch ist jedoch, dass die Rahmenbedingungen einen gutenVerdienst nur über Masse und den breiten Einsatz von Medikamenten ermöglichen. Deswegen ist die Forderung nach immer billigeren Medikamenten der falsche Ansatz. Denn dadurch wird der Druck, immer mehrTabletten an immer mehr Patienten zu verkaufen, eher noch erhöht.
Gute Medizin braucht intelligente Rahmenbedingungen, um wirtschaftlichen Erfolg mit Patientennutzen zu verbinden. Es wäre wünschenswert, dass dabei alle an einem Strang ziehen würden. Doch momentan sehe ich hier eher schwarz.Wir beobachten stattdessen Entwicklungen, die die Medizin immer stärker marktwirtschaftlichen Mechanismen aussetzen. Folgerichtig steigt der Anteil für Marketing undVertrieb an den Gesundheitsausgaben immer weiter an, und ich halte es für alarmierend, dass er inzwischen die Forschungsausgaben übersteigt. Marketing undVertrieb werden nämlich genau dazu eingesetzt, um den ganzenWahnsinn weiter anzuheizen. Ich glaube, es ist weder Aufgabe des Gesundheitssystems, Pharmareferenten und Hochglanzbroschüren zu bezahlen, noch, Kongresse und Fortbildungen zu finanzieren, die doch nur den Standpunkt des Herstellers vermitteln. Ganz besonders unschön ist es, wenn indirekt über Krankenkassenbeiträge die Aufwendungen für Mietmäuler an den Hochschulen beglichen werden, mit dem Ziel, möglichst oft schlechte Medizin durchzusetzen.
8 www.arznei-telegramm.de
9 Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, 2004
Der Gott in Weiß: Die Hybris der ärztlichen Omnipotenz
Wissenschaftler verschiedener Fachgebiete staunen oft darüber, wenn sie in Gremien oder beiVeranstaltungen mit Medizinern zusammentreffen, wie genau die Ärzte dieWelt erklären können. Da macht der Internist als Stoffwechselexperte dem Biochemiker begreiflich, wie Omega-3-Fettsäuren oderVitamine funktionieren. Der Chirurg als Statistikexperte erläutert dem Biometriker, welche Schlüsse man aus einer Studie zu ziehen hat, und der versierte Naturheilkundler erklärt als Experte für Quantentheorie einem Physiker, wie man dieWirkung einer Bioresonanztherapie über dieWellenmechanik verstehen kann. Es ist häufig einfach nur peinlich. Doch meist sind es die Mediziner, die mehr Aufmerksamkeit in den Medien bekommen. Journalisten möchten sich die Ergebnisse einer großen Ernährungsstudie eben nicht von einem Mathematiker erklären lassen, das wäre ja viel zu kompliziert und anstrengend. Lieber hört man sich die selbstsichere Meinung des Mediziners an, der die Resultate passend zur gefragtenWeltanschauung druckreif präsentiert. Nur leider oft fachlich falsch.
Wieso glauben wir Mediziner eigentlich, auf jedem Feld Experten zu sein? Stimmt, wir haben eine breit gefächerte Ausbildung genossen. Doch wie sah das konkret aus? In den ersten 4 Semestern des Medizinstudiums, der sogenanntenVorklinik, hatten wir während eines Semesters (4 Monate) jeweils ein paar Stunden Chemie, Physik, Biochemie und später auch ein bisschen Mathematik. Diese Kurse hießen dann » Chemie für Mediziner « oder » Physik für Mediziner « . Unterrichtet haben uns oft Fachstudenten, also angehende Physiker und Chemiker, die sich wie Strafversetzte mit unserer Halbbildung herumschlagen mussten. Entsprechend beliebt waren die Kurse sowohl bei den Ausbildern als auch bei uns Studenten. Für die Ausbilder, weil sie immer, wenn es schwierig wurde, einen Gang zurückschalten mussten, und für uns, weil wir uns bei den Experten als fünftes Rad amWagen fühlten, was man uns auch spüren ließ. Geprüft wurde mit Multiple-Choice-Fragen mit 4 Antwortmöglichkeiten wie in Günther Jauchs Show » Wer wird Millionär « .Sonst hätte man wohl zu einfache Fragen stellen müssen.
Nach demVordiplom, dem Physikum, hörte der Spuk auf, und wir konnten die klinischen Fächer lernen, also Innere Medizin, Gynäkologie, Chirurgie– über 20Fächer, in denen wir von Universitätsärzten unterrichtet wurden.Wir blieben zwar fünftes Rad amWagen– kaum ein Professor, geschweige denn ein gestresster
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