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Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)

Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)

Titel: Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Frank
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Stationsarzt hatte Lust, sich mit uns zu beschäftigen–, aber immerhin, jetzt ging es nur noch ums Auswendiglernen und nicht mehr um dasVerstehen von komplizierten Naturgesetzen.
    Doch diese naturwissenschaftliche Schmalspurausbildung hinderte uns später nicht daran, die statistischeWahrscheinlichkeitsrechnung in Studien selbst anzuwenden, Laboranalysen verstehen zu wollen oder über das kleinste Milligramm in Nahrungsmitteln Bescheid zu wissen. Fachleute der Mathematik, Chemiker oder Lebensmittelanalytiker schlagen schon lange die Hände über dem Kopf zusammen bei dem, was wir Mediziner so von uns geben. Stellt man einem Ernährungsmediziner eine simple Frage, zum Beispiel wie man eigentlich Kalorien misst, dann erntet man meist– nichts. Es funktioniert folgendermaßen: Das zu messende Nahrungsmittel wird in einen speziellen Stahlbehälter mit elektrischem Glühdraht gesteckt, der in einemWasserbad steht. Die Hitze, die durch dasVerbrennen des Nahrungsmittels entsteht, erwärmt dasWasser, und diese Erwärmung wird umgerechnet in Kalorien (Brennwert). Und nun die Preisfrage: Befindet sich im menschlichenVerdauungsapparat ein Glühdraht? Ich kenne keinen Chirurgen, der jemals einen gefunden hat.Was hat also dann die Kalorienmessung mit der menschlichen Ernährung zu tun? Genau, viel weniger, als man denkt. Sie ist höchstens eine sehr grobe Richtlinie bei der Berechnung des individuellen Ernährungsbedarfs.
    Wenn ein Schreiner nach langjähriger Ausbildung ein Gesellenstück oder später das Meisterstück abliefert, täte es ihm in der Seele weh, einenTisch auf die Schnelle zusammenzustümpern. Ein Hobbybastler weiß aber gar nicht, wie einTisch fachmännisch hergestellt wird, und hat mit Pfusch deshalb kein Problem. Natürlich gibt es auch unter Medizinern echte Fachleute auf dem Gebiet der Biometrie, der Chemie oder der Physik. Doch diese haben oft ein Doppelstudium vorzuweisen oder sich intensiv von Naturwissenschaftlern schulen lassen.
    Normale Medizinabsolventen erkennen oft die Fallstricke nicht, in die wir durch eine oberflächliche Anwendung der Naturwissenschaften geraten. Lieber berufen wir uns auf höhereWerte, es geht ja schließlich darum, Menschen zu helfen, und da bringen Nebensächlichkeiten wie die Grundlagen chemischer Analysen oder die korrekte Berechnung systematischer Fehler in einer Statistik kaum weiter.
    Im Rahmen meiner Referententätigkeit bin ich auch für die St. Galler Business School tätig und als Projektleiter zuständig für den Bereich Gesundheitsmanagement. Manchmal habe ich Führungskräfte von Pharmakonzernen in der Seminargruppe. Meist Chemiker oder Pharmakologen.Was ich von diesen bezüglich der Kommunikation mit medizinischen Hochschulprofessoren zu hören bekomme, spottet zumTeil jeder Beschreibung. Selten werden Namen genannt, doch umso mehr wird Frustration darüber erkennbar, wie wenig fachliche Kompetenz medizinische Professoren in einen Forschungsprozess einbringen und wie viel Engagement sie demgegenüber bei der Honorierung zeigen. Da Professoren in Unikliniken aber entscheiden, welche Medikamente dort getestet werden dürfen, müssen Pharmamitarbeiter sie hofieren. Eine Führungskraft antwortete mir auf die Frage, wie man denn solche Missstände in der Medizin beheben könne: » Ach, da glaubt noch jemand anWahrhaftigkeit in der Forschung. « Das ist schon bitter.
    Mathematik und Medizin
    Besonders auf dem Feld der Mathematik wirkt sich in der Medizin Halbwissen fatal aus.Weil wir es zumeist mit komplizierten Zusammenhängen zu tun haben, brauchen wir Spezialisten, die helfen, sich in den Untiefen der Statistik zurechtzufinden. Spezialisten, die Mathematik studiert haben, oder andere Naturwissenschaftler, die über ein ausgeprägtes mathematischesWissen verfügen. Diesen Spezialisten kommt eine Schlüsselrolle in der modernen Medizin zu. Sie haben dasWissen, in Studien große Datenmengen solide zu beurteilen und uns Ärzte zu informieren, welche Rückschlüsse über dieWirkung einerTherapie zu ziehen sind und welche nicht.
    Wir Ärzte sind Experten, wenn es darum geht, Forschungsergebnisse mit derWirklichkeit abzugleichen und im konkreten Patientenfall zu beurteilen. Dazu braucht es Erfahrung, eine gute Beobachtungsgabe und die Fähigkeit, den eigenenWeltanschauungen immer wieder zu misstrauen. Ähnlich dem alten Angler in unserem Forellenbeispiel sollten wir Empfehlungen, die Experten anderer Fachgebiete aufgrund der Ergebnisse von Studien fachgerecht erstellt

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