Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
bei denen sie eigentlich spüren müssten, dass sie ihnen schaden.Welche Mechanismen hier greifen, wer profitiert und wer verliert, und warum dies alles sogar an den Grundlagen einer freien Gesellschaft rüttelt. Darum geht es in den folgenden 3 Kapiteln.
Die Macht des Unbewussten
Der amerikanische Schriftsteller MarkTwain beantwortete die Frage, was für ihn gesundes Leben bedeutet, folgendermaßen: » Die einzige Methode, gesund zu bleiben, besteht darin, zu essen, was man nicht mag, zu trinken, was man verabscheut, und zu tun, was man lieber nicht täte. «
Aus den Fenstern meiner Praxis schaue ich direkt auf die Heidelberger Neckarwiese, das Freizeitareal in Heidelberg. Besonders morgens kann ich dabei den Menschen beim Sport zuschauen. Durchtrainierte, Untrainierte, Schlanke, Mollige allein oder in Gruppen. Am Gesicht und besonders an der Körperhaltung kann man genau erkennen, wie es ihnen geht: Die einen haben Spaß und bauen Stress ab, die anderen quälen und stressen sich dabei.
Ich kenne Menschen, die essen ab und zuVollkornprodukte und viel Salat und fühlen sich pudelwohl dabei. Aber ich kenne auch solche, die essenVollkornprodukte und viel Salat und kommen in meine Praxis, weil sie seit Jahren unterVerdauungsbeschwerden leiden. Blähbäuche, wechselhafter Stuhlgang, Magendruck, Sodbrennen, all das, was man heute als Reizdarmsyndrom diagnostizieren würde. Sie haben bereits eine Reihe von Untersuchungen hinter sich wie Darmspiegelung, Magenspiegelung, teure Labortests auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten (bezahlt aus eigenerTasche),Tests auf Laktose- und Fruktose-Unverträglichkeit (verkauft von einem Heilpraktiker oder Ernährungsmediziner).Trotz Diagnosen wie Laktose- oder Fruktose-Unverträglichkeit, Reizdarm, zahlreichen Unverträglichkeiten gefolgt von entsprechendenWeglassdiäten, Magentabletten oder Pulvern aller Art konnte langfristig keine Besserung erzielt werden. Kurzfristig hilftvieles, aber nach 2 Monaten sind die Beschwerden wieder da. Sehr häufig erhalte ich dann auf die Frage » Wie ernähren Sie sich? « die Antwort: » Gesund! «
Doch unter » gesund « verstehen die Patienten heute etwas anderes als ausgewogen oder normal. Gesund bedeutet, dass man sich Mühe gibt, es richtig zu machen:Vollkornprodukte, viel frisches Obst und Gemüse sowie fettarmes Essen. Auf die Frage, seit wann die Bauchbeschwerden bestünden, antworten die Patienten zum Beispiel: » 3 Jahre. « Und auf die Frage, wie lange man sich bemüht, » gesund « zu essen, bekomme ich ebenfalls zur Antwort: » 3 Jahre. « Ich frage dann, warum die Patienten nicht aufgehört haben, sich » gesund « zu ernähren, wenn die Beschwerden doch offensichtlich damit begonnen hätten.Wieso ich das denn fragen würde, höre ich dann, es sei doch gesund, sich » gesund « zu ernähren.
Warum tun Menschen jahrelang etwas, das ihnen offensichtlich nicht guttut? Um das zu verstehen, müssen wir über etwas sprechen, das die Psychologen als das Selbst bezeichnen.Vor 30Jahren begann der Osnabrücker Psychologieprofessor Julius Kuhl dieTheorie der Persönlichkeits-System-Interaktionen zu entwickeln und zu erforschen. Sie ist experimentell gut belegt und besticht vor allem durch ihre Alltagstauglichkeit.
Nach Julius Kuhl fällen Menschen eine Entscheidung nicht nur mit demVerstand, sondern auch mithilfe eines unbewussten Bewertungssystems, das unabhängig von unseremVerstand ist. Dieses System hat Zugang zu unserem Erfahrungsgedächtnis im Gehirn. Und zwar genau zu demTeil, in dem sämtliche Lebenserfahrungen abgespeichert werden, die sich auf unsere eigene Person beziehen und die uns helfen, richtig zu entscheiden, ohne vorher lange nachzudenken.Wenn zum Beispiel ein Kind weint, reagiert die Mutter sofort mit einer hohen, beschwichtigenden Stimmlage, ohne dass sie sich das bewusst vornehmen musste. Die Psychologen nennen diesenTeil der Psyche das Selbst. Das Selbst funktioniert 1000-mal schneller und leistungsfähiger als jeder Hochleistungscomputer.
Alles, was wir in unserem Leben schmecken, hören, riechen und erfahren, wird in diesem Erfahrungsgedächtnis abgespeichert. Julius Kuhl nennt diesen Gedächtnistyp wegen seiner enormen Ausdehnung das Extensionsgedächtnis. Die Speicherung erfolgt durchVerknüpfungen vorhandener Hirnzellen; man spricht von neuronalen Netzen.Wir kommen sogar schon mit neuronalen Netzen auf dieWelt, weil wir bereits im Mutterleib anfangen, Hirnzellen miteinander zu verknüpfen.Wir wissen sogar noch, wie
Weitere Kostenlose Bücher