Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
uns unser Uropa in seinen Händen gehalten hat, als wir 4 Jahre alt waren, wie er roch, ob er ein gestreiftes Hemd anhatte, ob er lächelte und ob wir uns dabei wohlfühlten.Welche Schuhe unsere Schulkameraden in der ersten Klasse trugen, ob man bei ihnen abschreiben durfte oder nicht. Jedes noch so kleine Detail aus unserem Leben ist im Extensionsgedächtnis vorhanden.
Warum hat die Natur ein solches Erfahrungsgedächtnis eingerichtet?Weil es besonders imTierreich überlebensnotwendig ist.Wenn eine Maus ein Blätterrascheln hört, muss sie augenblicklich entscheiden, ob etwas kommt, das sie fressen will, oder etwas, das sie selbst fressen kann. Renne ich weg oder hin? Die Entscheidung muss blitzschnell fallen, sonst ist es zu spät. EineVerstandesentscheidung mit sorgfältigem Abwägen der Pros und Kontras wäre viel zu langsam. DasWiesel hätte zugeschlagen oder der Käfer wäre weg.
Um jedoch richtig und schnell genug entscheiden zu können, muss eine Bewertung der Situation vorliegen. Deswegen werden alle Lebenserfahrungen nicht nur abgespeichert, sondern zusätzlich mit einerWertung versehen. Alles, was wir erleben, bewerten wir mit einem » Gut für mich « oder » Schlecht für mich « . Je mehr Erfahrungen ich gesammelt habe, desto mehr kann ich diese Bewertungen nutzen, um sie mit der aktuellen Situation zu vergleichen und daraus eine gute Entscheidung zu treffen. Sind dieVergleiche eher positiv, wird die Maus zur Beute hinrennen, sind sie negativ, wird sie flüchten. Auch wir Menschen bewerten ständig Situationen danach, ob Gefahr drohen könnte oder eine Belohnung zu erwarten ist.Wenn wir beispielsweise einem Menschen bei der Arbeit oder als neuer Nachbar zum ersten Mal begegnen, wird unser Gehirn diese Person anhand von Kleidung, Mimik, Gesten und der Art, wie sie spricht, mit denVorerfahrungen vergleichen, die wir mit anderen Menschen gemacht haben. Fällt derVergleich positiv aus, werden wir innerhalb von 300Millisekunden, also blitzschnell, ein diffuses positives Gefühl gegenüber dieser Person entwickeln – oder eben ein negatives. Auch gemischte Gefühle sind möglich, wenn etwas gleichzeitig Gefahr und eine Belohnung bedeutet. ImVolksmund nennt man diese Gefühle » Bauchgefühle « , in der Hirnforschung nennt man sie » somatische Marker « ( soma ist griechisch und bedeutet » Körper « ). Sie sind eine sehr wichtige Entscheidungshilfe, die uns ermöglicht, schnelle und richtige Entscheidungen zu treffen.
Selbstverständlich heißt das nicht, bei Entscheidungen denVerstand auszuschalten. Besonders wenn man unerfahren ist, sollte man mit reinen Bauchentscheidungen vorsichtig sein.Verfügt man jedoch über viel Erfahrung, stellen sich die schnellen intuitiven Entscheidungen bei schwierigen komplexen Sachverhalten oft langfristig als die besseren heraus.Wie unser Forellenköderbeispiel gezeigt hat, kann der erfahrene Angler mit diesem unbewussten Bewertungssystem viel mehr Daten verarbeiten und zu einer Bewertung heranziehen, als es jeder Studienaufbau ermöglicht, auch wenn man oft nicht einmal sagen kann, wieso man etwas gut findet oder nicht. Dieser unbewussteTeil des Gehirns, unser Selbst, arbeitet sogar dann, wenn wir eigentlich Pause machen. Kennen Sie das? Sie denken angestrengt über die Lösung eines Problems nach, einen Briefanfang oder die richtige Idee für ein Geburtstagsgeschenk, aber es will Ihnen nichts Rechtes einfallen. Am besten verordnet man dann demVerstand eine Pause. Mit dem Hund spazieren gehen, duschen, Zimmer aufräumen, all dies stoppt das bewusste Denken. So kann das Selbst ungestört seine Erfahrungen durchscannen und nach Antworten, nach Lösungen suchen. Unermüdlich spielt es dabei verschiedeneVarianten durch. Und plötzlich kommt Ihnen der bewusste Gedankenblitz, scheinbar aus dem Nichts, dabei hat Ihr unbewusstes Erfahrungsgedächtnis lediglich die gefundene Lösung in Ihr bewusstesVerstandessystem überführt. DerVerstand verfügt über einen weitaus kleineren Arbeitsspeicher, in dem lediglich all jene Absichten und Pläne, die uns bewusst zum Ziel führen sollen, gelagert werden.Weil diese Absichten dann bewusst werden, nennen Psychologen diesenTeil des Gehirns das ICH .
Da unser Gehirn überaus komplexe Informationen extrem schnell auswerten muss, kommunizieren wir mit diesem reichen Erfahrungsschatz aber weniger über denVerstand, er wäre zu langsam und würde schlichtweg angesichts der schieren Masse an Informationen kollabieren.Wir kommunizieren mit
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