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Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)

Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)

Titel: Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Frank
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Selbstinfiltration. Das heißt, sie richten ihr Handeln nicht an den eigenen Emotionen aus, sondern an den Zielen, die andere ihnen vorgeben. Und so verabredet man sich mit Menschen, obwohl man spüren müsste, dass sie einem nicht guttun. Deshalb schafft man es nicht, wenigstens ab und zu pünktlich aus dem Büro zu kommen, um seine Kinder im wachen Zustand zu erleben, vergisst, Urlaub zu nehmen oder für mehr Lebensqualität zu sorgen. Man glaubt den Maximen unseres heutigen Erfolgsdenkens, etwa dass Karriere erst nach 17Uhr gemacht wird, nurVerlierer sich mittags eine Pause gönnen ( » Only losers have lunch « ) oder sich wahre Leistung darin zeigt, dass man auch nach 22Uhr noch E-Mails beantwortet. Dabei weiß, wer einen guten Selbstzugang hat, dass ein solchesVerhalten die sozialen Netzwerke beschädigt, man den Kontakt zu Partner und Kindern verliert und man sich, selbst wenn man das Karriereziel tatsächlich erreicht, fragen muss: Für wen eigentlich und wozu?
    Eine Lebenssituation, die ich bei den Patienten in meiner Sprechstunde sehr häufig vorfinde: Menschen, die eigentlich sehr zufrieden sein müssten, einen anspruchsvollen Beruf haben, eine gesunde Familie, ein Haus und auch ein schönes Auto, und dennoch meinen, das Leben rausche an ihnen vorbei. Solche Menschen haben einen schlechten Selbstzugang, und als Erstes trainiere ich mit ihnen, wie sie lernen können, ihre Emotionen wieder wahrzunehmen und sie als wichtige Entscheidungshilfe zu nutzen. Menschen mit schlechtem Selbstzugang sind darüber hinaus besonders anfällig für raffinierteWerbeversprechen, die sie dazu verleiten, Dinge zu tun, die sie eigentlich später bereuen.
    Menschen mit einer starken Neigung zu Ängsten und Sorgen laufen besonders häufig in die Falle, etwas zu tun, von dem sie eigentlich wissen müssten, dass es falsch ist. Und genau darauf zielen moderne Gesundheitsempfehlungen. Sie reden uns ein, dass wir allen Arten von epidemischen Gefahren ausgesetzt sind– Fettleibigkeit, Herztod, Demenz, alles ist irgendwie krebserregend – und das, obwohl die allgemeine Lebenserwartung jedes Jahr ansteigt.
    Wenn uns ständig gesagt wird, dass Fett und Salz Herzkrankheiten auslösen, dass zu wenig Obst zu Krebs führe, dass Übergewicht sowieso der Gesundheitskiller Nummer1 sei, dann werden die Ängste, die dadurch erzeugt werden, dafür sorgen, dass wir tatsächlich anfangen, die Empfehlungen für »gesunde« Ernährung und Gewichtsreduktion umzusetzen. Und das, obwohl wir mit diesen Empfehlungen ganz andere Erfahrungen machen, nämlichVerdauungsstörungen und Jo-Jo-Effekte. Eine Strategie, die umso wirkungsvoller ist, wenn sie an Eltern appelliert. Ohne Not und ohne belastbare Daten werden Horrorszenarien an dieWand gemalt, um Kindern das wegzunehmen, was sie gerne essen: Schokolade oder Pommes frites. Besorgte Eltern, die ihren Kindern nicht schaden wollen und deshalb diesenVorgaben glauben, provozieren tagtäglich unsägliche Kämpfe am Esstisch, die den Familienfrieden belasten.
    Es ist schon paradox. Was wird ein Journalist schreiben, wenn er eine Gesundheitsreportage über die Kinder eines Kindergartens plant? Nach dem Besuch des Kindergartens wird er von Kindern berichten, die alle zu dick sind, sich nicht mehr bewegen können, Junkfood essen und von ihren Handys verstrahlt werden. Doch derVertreter einer Lebensversicherung wird den Mädchen in diesem Kindergarten eine Lebensversicherung verkaufen, bei der er, wie schon erwähnt, von einer Lebenserwartung von 100Jahren ausgeht, um bei der Berechnung seiner Policen auf der sicheren Seite zu sein. Es ist schlicht falsch zu behaupten, dass die Kinder in heutigen Kindergärten gesundheitsgefährdeter sind als wir oder unsere Großeltern. Das Gegenteil ist der Fall. Nur, über diese Erkenntnisse ließen sich ja schlecht die verschiedensten Gesundheitsangebote verkaufen. So wird dieVolksgesundheit vorsätzlich geschädigt, um unnötigeTherapien und Gesundheitsprogramme an die Frau, den Mann und das Kind zu bringen.
    Wie extrem dabei vorgegangen wird, zeigt ein Erlebnis, welches ich mit einer Ärztin nach einerTalkshow hatte. Sie war dafür eingetreten, viel Obst und Gemüse zu essen, weil dies Krebs verhindern würde. Ich hatte dagegengehalten, dass es überzeugende Daten gäbe, die dieseThese widerlegen, und dass man mit der Kampagne nichts anderes erreichen würde, als Menschen Angst und ein schlechtes Gewissen einzujagen, wenn sie Lust auf eine Bratwurst haben. Nach der Sendung kam

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