Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)

heißt heute, sich der ständigen (virtuellen) Gefahren bewusst zu sein, und führt damit zum Gegenteil dessen, was »gesund sein« eigentlich bedeutet. Der Philosoph Hans-Georg Gadamer beschreibt Gesundheit folgendermaßen: » Gesundheit ist ein Zustand des Selbstvergessenen, um sich kraftvoll dem Leben zuzuwenden. « Unser heutiger Umgang mit Gesundheit führt jedoch zu einem ängstlichen Rückzug aus dem Leben, denn wir müssen uns ständig um unsere Gesundheit sorgen.
    Deshalb gibt es immer mehr Patienten, die unter Modekrankheiten leiden wie Candidapilze, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Burn-out, hinter denen sich meistens eine tiefeVerunsicherung verbirgt. Sie brauchen keinen Gesundheits- undWellnessstress, sie brauchen Ruhe, Selbstzugang und Selbstberuhigung, um endlich herauszufinden, was für sie gut ist.
    Das Geheimnis des Erfolgs alternativer Heilmethoden
    Die Panikmache und ihre negativen Auswirkungen auf die Gesundheit haben sogar einen wissenschaftlichen Namen, man spricht vom Noceboeffekt (lateinisch nocere heißt » schaden « ). Rede ich nur oft genug darüber, dass einVerhalten oder ein Medikament ganz bestimmte schwere Nebenwirkungen hat, dann meinen viele Menschen auch, an solchen Krankheiten und Symptomen zu leiden, auch wenn sie gar nicht real nachweisbar sind. Im umgekehrten Fall sprechen wir von dem bekannten Placeboeffekt (lateinisch placere heißt » gefallen « ).
    Immer wieder berichten mir Patienten, dass sie selbst oder in ihrem Bekanntenkreis erstaunliche Heilerfolge erlebt haben durch Methoden der Alternativen Medizin, also Heilverfahren, die nicht an der Universität gelehrt werden. Fasziniert von Schilderungen solch außergewöhnlicher Resultate, habe ich einige Praktika bei Kollegen absolviert, die in ihren Büchern solche Erfolge glaubwürdig beschrieben hatten. Sehr ernsthafte Kollegen, die von ihremTun zutiefst überzeugt waren, sonst hätten sie bestimmt nicht zugesagt, als ich ihnen für einige Zeit über die Schulter schauen wollte. Ich war bei Meistern der Elektroakupunktur nachVoll, der Kinesiologie, bei einem HNO -Facharzt, der sich als Geisterheiler betätigte, und bei Homöopathen. Doch bei keinem von ihnen sah ichWunderheilungen.Was sie auszeichnete, war, dass sie ihren Patienten ohne Zeitdruck zuhörten, sie ernst nahmen und durch diese mitfühlende Zuwendung Effekte erzielten, die viele Patienten als Heilung wahrnahmen.
    Auch ich wende in ganz bestimmten Fällen Akupunktur, den Schröpfkopf oder manchmal sogar einen Blutegel an. Auch Heilfasten kann bei manchen Patienten Beschwerden deutlich lindern. OhneWeiteres könnte ich für jede dieserTherapien einen Patienten vorstellen, der bestätigt, dass er durch diesesVerfahren wie durch einWunder von seiner Erkrankung geheilt wurde. Nur gibt es gleichzeitig eben immer Dutzende andere Patienten, bei denen die gleicheTherapie nicht so gut gewirkt hat. Man sollte die Erwartungen nicht zu hoch schrauben.
    Dauerhafte Heilungserfolge durch Methoden der Alternativen Medizin sind sicher die Ausnahme. Und bei den wenigen Malen, wo sie eintraten, ist zu bedenken, dass es bei schweren Krankheiten auch seltene Fälle von Spontanheilung gibt, Heilung also ohne Zutun des Arztes. Es gibt immer wiederVersuche, solche Heilerfolge im Rahmen kontrollierter Studien zum Placeboeffekt zu testen. Dabei gelingt es so gut wie nie, eineWirksamkeit zu belegen, die über die des Placebos hinausgeht.Verblüffend sind auch Studienergebnisse zum Beispiel von Akupunkturstudien, bei denen zwar eine positiveWirkung erzielt wird, aber es keinen Unterschied macht, ob die Nadeln anhand der definierten Akupunkturpunkte gesetzt werden, wie ich sie auch in der Ausbildung gelernt habe, oder an rein zufälligen Körperstellen platziert werden. Letztlich weiß keiner, ob solche Erfolge auf reinen unspezifischen Placeboeffekten gründen oder ob sich nicht doch ein direkter unerforschter Zusammenhang dahinter verbirgt.
    Und doch kann man solcheVerfahren nicht generell als nutzlos bezeichnen. Placeboeffekte können sehr stark sein, und diese positiveWirkung zum Beispiel auf Schmerzempfinden konnte wissenschaftlich auch nachgewiesen werden. Jeder Arzt arbeitet bewusst oder unbewusst mit Placebos. Auch habe ich Patienten, die auf homöopathische Mittel schwören, die ja genau betrachtet aus nichts als reinemWasser bestehen, oder auf rein naturheilkundliche Arzneien, mit denen sie ihre ständigen Infekte im Griff haben, wie sie sagen, und ich glaube ihnen. Mit der