Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
Zeit bekommt man ein Gespür dafür, welche Patienten sich damit gut behandelt fühlen. Beachtet man die erste ärztliche Grundregel Primum nihil nocere, zuallererst nicht schaden, dann kann man viele Mittel aus der Alternativen Medizin sehr gut einsetzen. Medikamente dagegen mit nachgewiesener pharmakologischerWirkung haben, wie wir gesehen haben, häufig potenziell gefährliche Nebenwirkungen und eignen sich deshalb nicht als Placebos.
Eine Möglichkeit, die Erfolge alternativer Heilmethoden über den Placeboeffekt hinaus zu erklären, könnten jene Zusammenhänge sein, die Julius Kuhl erforscht hat. 12 Manche T herapeuten, die sich solcher Methoden bedienen, haben vielleicht ein besonderes T alent, zuzuhören, ihren eigenen Selbstzugang authentisch zu öffnen und so mit dem Erfahrungsgedächtnis des Patienten zu kommunizieren. Also auf Gefühlsebene und nicht über den V erstand. Eine Behandlungssituation, wie sie im Getriebe moderner » schulmedizinischer « Praxen und Krankenhäuser immer seltener vorgesehen ist. Hier muss es vor allem schnell gehen.
Dann wäre die Methode nur das Medium, um sich dem Patienten aufmerksam zuzuwenden.Wirken würde das glaubwürdige Interesse desTherapeuten an der ganz persönlichen Situation des Patienten. Dasselbe könnte auch für Rituale gelten, wenn man zum Beispiel dem weinenden Kind, das sich den Kopf gestoßen hat, die schmerzende Stelle küsst oder auf das angeschlagene Knie pustet. Sachlich gesehen ist das Unsinn, aber psychologisch gesehen ist es sehr sinnvoll, wenn die » Behandlung « mit echtem Mitgefühl, also glaubwürdig, durchgeführt wird. Der bekannte Arzt, Autor und Moderator Eckart von Hirschhausen drückt dies so aus: Der Arzt soll dem Patienten so angenehm wie möglich die Zeit vertreiben, bis die Eigenheilung eintritt. Psychologisch ausgedrückt heißt das, ihn zu beruhigen, dadurch den Ruhenerv zu aktivieren und ihm den Selbstzugang zu ermöglichen. Bei der überwiegenden Anzahl der Patienten in einer normalen allgemeinmedizinischen Sprechstunde mit den diagnostisch nicht greifbaren psychosomatischen Befindlichkeitsstörungen macht es eben mehr Sinn, die Selbstberuhigung zu fördern und dabei auch das eine oder andere Placebo einzusetzen, als durch angebliche Risikofaktoren Angst zu schüren, den Patienten zumVordiabetiker mit Prähypertonus zu erklären und unnötigerweise pharmakologisch wirksame Medikamente zu verschreiben mit den zu erwartenden Nebenwirkungen.
Bullshit: Wie Patienten verschaukelt werden
Alternative Medizin wird aber nicht immer mit demVorsatz angeboten, dem Patienten helfen zu wollen. Oft steckt eine ganz andere Motivation dahinter, zum Beispiel jene, kranken Menschen das Geld aus derTasche zu ziehen. Dabei kann man einVorgehen erkennen, welches sich von den Gepflogenheiten der universitären Medizin unterscheidet. In derWissenschaft kennt man zumindest theoretisch die Regeln guter Medizin.Wenn diese Regeln korrekt angewandt werden und Ergebnisse herauskommen, die den therapeutischen Nutzen nicht bestätigen, kommt es zwar, wie gesehen, zu vielfältigenVerdrehungen derTatsachen, aber die meisten Beteiligten wissen wenigstens, dass die wissenschaftlicheWahrheit anders aussieht und sie die Unwahrheit sagen müssen, um ihreTherapien zu rechtfertigen. Die alternative Medizin wähnt sich frei von solchen Zwängen. Sie fußt deshalb allzu oft auf reinem » Bullshit « .
Der amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt erklärt in seinem Buch Bullshit den Unterschied zwischen einer Lüge und Bullshit (dt.: Humbug). Der Lügner erkennt die Existenz derWahrheit an. Nur da sie seinen Interessen schadet, stellt er eine unwahre Behauptung auf. Kurz, er lügt. Dem Bullshiter ist das egal. Er interessiert sich gar nicht für dieWahrheit. Befreit vom Ballast unnötigen Fachwissens, bedient er sich aus dem herrschenden Meinungsangebot, ob Fernsehsendung oder Fachartikel, und greift sich die Information heraus, die in seinWeltbild passt. Es ist ihm zu keiner Zeit bewusst, ob er dieWahrheit oder Unsinn verbreitet. Aber das spielt für ihn auch keine Rolle, Hauptsache, es klingt irgendwie logisch und interessant. Es ist ungleich einfacher, Bullshit zu erzählen, als sich in mühseliger Kleinarbeit um die Quellen und Belege seiner Behauptungen zu kümmern. Umso schneller lässt sich Bullshit heute über die weltweiten medialen Kommunikationsmöglichkeiten verbreiten, bis keiner mehr weiß, was davon noch derWahrheit entspricht. Und weil es so mühsam
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