Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
ist, dasWahre herauszufiltern, interessieren sich schließlich immer weniger Menschen dafür. Genau so erlebe ich den gesundheitlichen Medienzirkus. Die einzige echte Epidemie, die das Gesundheitswesen überrollt, ist der aktuelle Bullshit-Tsunami. Man kann heute alles schreiben und mit allem begründen.
Zum Beispiel empfiehlt der bekannteArzt Michael Spitzbart in dem Bestseller Fit Foreve r : » Wenn Sie einen eigenen Garten haben, ziehen Sie eine Mohrrübe aus dem Boden und essen Sie diese ungewaschen– das impft das Immunsystem. « Jedes Jahr sterben Menschen durch Krankheitserreger, die man über ungewaschene und ungekochte Lebensmittel aufgenommen hat. Besonders drastisch wurde uns dies durch die zahlreichenTodesopfer der EHEC -Seuche Mitte 2011 vor Augen geführt. Guten Appetit, kann man da nur sagen.
Mit Bullshit wird man konfrontiert, sobald man als Gesundheitsexperte die öffentliche Bühne betritt. Gehobener Bullshit ist nach meinem Dafürhalten zum Beispiel die Behauptung, man könne » schlank im Schlaf « werden. Ein sehr populäres Ernährungskonzept, welches im Kern morgens kohlehydratreiche Nahrung und abends kohlehydratreduzierte Kost empfiehlt. Eine Ernährungsform, die in manchen Fällen tatsächlich zu einem entspannteren Bauch und anfänglicher Gewichtsabnahme führt, aber eben wie immer nicht auf Dauer.
Doch das ist nicht neu. Schon die Atkins-Diät der 1970er Jahre konnte so meist kurzfristige Erfolge erzielen. Die Anfangserfolge lassen sich leicht darüber erklären, dass diese Methode es erlaubt, endlich wieder normal fett zu essen. Es profitieren all die Menschen, die vorher versucht haben, fettarm zu essen, und deshalb automatisch mehr Kohlehydrate essen mussten, um das Energiedefizit auszugleichen. Diese Zusammenhänge sind gut erforscht. Da manchmal Kohlehydrate schwer verdaulich sind, kommt es zu Aufgedunsenheit und Blähungen, die mit Kohlehydratreduktion und mehr Fett dann sofort besser werden. Auch kurzfristige Abnehmerfolge werden so möglich.
Ich traf den Internisten Detlef Pape, Autor von Schlank im Schlaf , in einerTalkshow. Er behauptet, mit dieser Ernährungsform den Schlüssel für dauerhaftes Abnehmen gefunden zu haben. Ich fragte ihn, ob er seine Patienten auch durch eine Langzeitbeobachtung erfasst habe.Wie viele seiner Patienten würden den Jo-Jo-Effekt erleben? Bei seinen Erfolgen müsste es möglich sein, ein biometrisches Institut zu beauftragen, die Patientendateien zu sichten und Langzeitergebnisse systematisch auszuwerten. Doch mein Eindruck war, es interessierte ihn offenbar nicht, ob seine Methode auch auf lange Sicht funktioniert und er seine Patienten womöglich falschen Hoffnungen und schädlichen Jo-Jo-Effekten aussetzt. Oder weiß er es längst? Anstelle einer Antwort argumentierte er mit Forschungsergebnissen, die sich mit Hormonen und Stoffwechseleffekten befassen.Alles interessant, aber: Ein dauerhafter Abnehmerfolg wird nicht in Hormonen gemessen, sondern in Gewicht.
Ein anderes Mal diskutierte ich mit dem erfolgreichen Autor und Kollegen Stefan Frädrich, der als Live- TV -Coach bei Sat.1 mit der Sendung » Besser Essen– Leben leicht gemacht « und Büchern wie Die einfachste Diät der Welt seinenTeil vom Schlankheitswahnkuchen abschneiden möchte. Ich lieferte gut begründete Argumente, doch die sind für einen erfahrenen Bullshiter kein Problem: » Herr Frank, ich glaube, Sie lesen zu viel. « Im Lauf dieser Sendung wurden dann noch Bewegungsprogramme der Sportschule Köln angepriesen mit dem Slogan » Toben macht schlau « . Aha, Bildung wird in Zukunft per Klimmzug und Keulenwurf vermittelt, und bitte– nicht zu viel lesen! Sonst könnte man ja merken, dass man, na ja– Bullshit verbreitet.
Die Liste könnte noch unendlich lange weitergeführt werden. Doch es gibtWichtigeres, als Bullshit auch noch weiterzuverbreiten. Dass jemand Bullshit verbreitet, merken Sie daran, dass
derVortragende unrealistische Erfolge propagiert, für die er schon längst den Nobelpreis hätte bekommen müssen.
jemand so argumentiert: »Eine Studie in Amerika hat gezeigt…«, ohne dass er in der Lage ist, Autor und genauen Inhalt zu nennen.
jemand mit genau solchen exakten Aussagen konfrontiert wird und dann behauptet, Studien seien ja nicht wichtig.
als Beweis ein Prominenter präsentiert wird, der mit der Methode wunderbar gesund und schlank geworden ist.
auf berechtigte Fragen ausweichend reagiert wird und man sich auf höhereWerte beruft oder Argumente nennt,
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