Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
nichts weiter, als denVölkermord dem einfachen Mord vorzuziehen. « Der Begründer der modernen Psychologie, Sigmund Freud, meint in Das Unbehagen in der Kultur das Gleiche, wenn er zusammenfassend schreibt, dass » es immer möglich [ist], eine größere Menge von Menschen in Liebe aneinander zu binden, wenn nur andere für die Äußerung der Aggression übrig bleiben « .
Die Bildung von Gruppenmoral produziert dabei 2Typen vonVerlierern. Diejenigen, die von vornherein ausgegrenzt werden, weil sie den Normen aufgrund von Abstammung, Hautfarbe, Geschlecht oder anderen Merkmalen nicht entsprechen können, und diejenigen aus der Gruppe, die denVerlockungen, dem Unmoralischen, der Sünde nicht widerstehen und sich darüber der Aggression der Gruppe aussetzen. Je erfolgreicher die Abgrenzung funktioniert, je kompromissloser sie eingefordert wird, desto zwangsläufiger führt eine solche Gruppenmoral zu diktatorischen Strukturen. Deshalb regt EckartVoland an, nicht nur Sucht- oder Gewaltprävention zu praktizieren, sondern auch über eine Moralprävention nachzudenken.
Gruppenmoral steht in letzter Konsequenz immer einem aufgeklärten, humanistischen Menschenbild entgegen. Sie wendet sich gegen individuelle Selbstbestimmung, Objektivität undVernunft und versucht ihren Einfluss in der Gesellschaft bis ins Privatleben hinein auszubauen. Und dabei entspricht es demWesen einer Gruppenmoral, dass sie sich mit dem Erreichten nie zufriedengibt. Sie will sovielen wie möglich ihre Moral aufzwingen, wenn auch stets mit dem Argument, es gut zu meinen. Und wer seine eigenenVorstellungen behalten will, wird zum Gegner erklärt. Denn höhereWerte rechtfertigen alles. DochWerte, Ethik und Heilsversprechungen sind reine Fassade, inWahrheit zählt nur das, was die Gruppe stärkt.
Was macht nun eine Gesellschaft, die sich erfolgreich von solchen, in derVergangenheit oft todbringenden Einmischungen in das öffentliche und private Leben befreit hat? In der die Religion nicht mehr vorschreiben kann, wen man heiraten darf oder nicht. In der man wegen falscher Abstammung oder politischer Überzeugung kein Berufsverbot mehr erhält oder interniert wird. Nachdem man sich selbst von Diktaturen befreit hat oder befreit wurde.Was macht eine Gesellschaft, in der Minderheiten und individuelle Selbstbestimmung per Gesetz geschützt sind und dieWürde des Menschen unangreifbar ist?
Wir können das in derVergangenheit erfolgreicheWir-Programm nicht so einfach abstellen. DerTeil unserer Gene, der eine Gruppenmoral gut findet, muss sich ein neues Betätigungsfeld suchen. Als gesellschaftliche Randgruppe kann man sich dann alter Feindbilder bedienen, aber wer heute in der Gesellschaft etwas werden will, braucht etwas Neues, Unverdächtiges. Fußball reicht nicht aus. Und genau dafür bietet sich das Feld der Gesundheit an. Über eine absurdeVorstellung, was sie angeblich gefährdet oder fördert, lassen sich Menschen leicht in Angst und Schrecken versetzen und ein schlechtes Gewissen einjagen, genau so, wie es im vorherigen Kapitel beschrieben ist. Menschen lassen sich so auch leichter manipulieren und für fremde Interessen einsetzen. Zu diesem abstrusen Gesundheitsverständnis gesellen sich in seltsamer Allianz die Sorge um die Umwelt und derTierschutz.
Die daraus resultierende neue Gruppenmoral definiert sich über genau das ideologische Gesundheitsbewusstsein, welches sich seit Framingham inWissenschaft und Gesellschaft durchgesetzt hat, sowie über ein lautes Eintreten für das, was man für eine umwelt- und tiergerechte Produktion hält. Nennen wir diese neue Gruppenmoral die Bewegung der Lebensstilmoralisten. Ihre Losung heißt Nachhaltigkeit, und ihr Glaubensbekenntnis lautet so: Die Lebensbedingungen in einer Zivilisation führen zu Gesundheitsbelastung, Naturzerstörung undTiermisshandlung. Menschen haben dieVerpflichtung, dem entgegenzuwirken, indem sie erkennbarVerantwortung für einen » gesunden « Lebensstil, Natur- undTier- » schutz « übernehmen. Menschen, die sich dieserVerantwortung verweigern, erkennt man unter anderem an: Übergewicht, Plastikverpackungen, SUV s oder Fleischkonsum aus Massentierhaltung.
Die neuen Gebote der Lebensstilmoral ohne Anspruch aufVollständigkeit lauten so:
Iss stets Obst undVollkornprodukte.
Iss erkennbar wenig Fleisch.
Meide Fett.
Vermeide Zucker und alle anderen Genussstoffe, sie machen krank und dick.
Praktiziere Ausdauersport.
Sei schlank.
Verurteile industrielle Massenproduktion.
Tue dies
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