Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
kauft, gibt seitdem ein Statement ab gegen Ausbeutung und Umweltverschmutzung. Die Beliebtheit des Studienfachs Ernährungswissenschaften wuchs gewaltig, und immer mehr Hochschulen bieten nun dieses Fach an.
Was aber hat ein schonender Umgang mit der Umwelt oder fairerWelthandel mitVollwerternährung zu tun? So viel wie Schnupfen mitWeltfrieden. Auch leben wir nicht mehr in den 80ern. Damals gab es sehr gute Argumente, um der Industrie Umweltbelastung im ganz großen Stil vorzuwerfen. Das hat sich jedoch deutlich geändert.
Moderne chemische Pestizide haben wenig mit den umweltvergiftenden Chemiekeulen der 70er Jahre gemein, ein unzweifelhaftesVerdienst der damaligen Umweltbewegung. Aus den Schornsteinen werden nicht mehr verantwortungslos Abgase hinausgeblasen, sie werden durch neueTechnologien weitgehend ausgefiltert. Es gibt wieder Adler, Biber undWölfe in Deutschland, und in den meisten Flüssen kann man wieder baden. Das Gleiche gilt weitgehend auch für die industrielleTierhaltung, in der, anders als in den bekannten Gräuelfilmen,Tiere heute oft besser gehalten werden als in Kleinbetrieben. In der industriellen Nahrungsproduktion gibt es ganz sicher auch heute noch viele Kritikpunkte, aber auch sehr viele Erfolge.
Das Problem ist, dass diese Ängste vor den gesundheitlichen und moralischen Folgen der industriellen Massenproduktion nach wie vor geschürt werden, aber mit Argumenten und Studien, die aus den 80er Jahren stammen.
Heute verläuft die Grenze zwischen Natur- undTierverantwortung nicht mehr zwischen Massenproduktion und Kleinbauernhof, sondern zwischen schlechten und fähigen Betriebsleitern, und zwar sowohl in Groß- als auch in Kleinbetrieben. Zwischen schlechter Massenproduktion und guter, sinnvoller Massenproduktion. Zwischen dogmatischem Bioanbau und vernünftigem Biobetrieb.Angesichts der Notwendigkeit, Millionenstädte sicher, hygienisch und ausreichend zu versorgen, ist es sinnvoll, dasWissen über die besten Methoden aus beiden, konventionell und bio, undogmatisch im Sinne des integrierten Landbaus zu nutzen.
Doch davon hören wir wenig. Es werden stattdessen weiter Gegensätze und Feindbilder geschürt. Dies erinnert an den Umgang mit den Framingham-Glaubenssätzen. Man brüht alte Inhalte immer wieder auf und verweigert eine kritische Überprüfung. Die Folge spüre ich in der Sprechstunde und in den öffentlichen Diskussionen, an denen ich teilnehme. Menschen können kaum noch ohne schlechtes Gewissen industrielle Nahrungsprodukte konsumieren, finden es schlimm, wenn ihre Kinder Nutella statt Äpfel essen möchten, und meinen, sich ständig für einen Hamburger oder eineTafel Schokolade rechtfertigen zu müssen. Diese Ängste sind weit schädlicher für die Gesundheit als die Gefahren, die von einer modernen Nahrungsproduktion ausgehen.
Doch all dies berührt viele Ernährungswissenschaftler nicht. Stattdessen übernahm man auf der Suche nach weiteren Lehrinhalten die Nährwerttabellen von Lebensmittelchemikern und etablierte diese als Grundlage der Ernährungsberatung. Chemiker schütteln über ein solchesVorgehen schon lange den Kopf, denn jeder Zehntklässler weiß, dass aus Stoffen, die man miteinander chemisch reagieren lässt, neue Stoffe mit ganz anderen Eigenschaften resultieren. Im Fall der Ernährung nennt man diesenVorgang Kochen. Ein gekochtes Gericht besteht aus etwas anderem als die Einzelzutaten, und wenn man dann noch berücksichtigt, dass einVerdauungsapparat etwas anderes ist als ein Massenspektrometer oder eine Bleikammer mit Glühdraht, dann werden die Lebenslügen der modernen Ernährungswissenschaft offenbar.
Dennoch konnte sich die Ernährungswissenschaft als akademisches Fach etablieren, das heute in Deutschland etwa 6000Studenten, zu 88Prozent weiblich, studieren.Tausende so ausgebildete Ernährungsfachleute besetzen Schaltstellen in Landratsämtern, Ministerien, Krankenkassen und betrieblichen Gesundheitsdiensten und dominieren die öffentliche Meinung mit ihrem dürren, genussfeindlichenWeltbild.
Moral verdrängt Fachwissen
Dagegen mit fachlichen Argumenten anzukommen, ist nicht mehr möglich. Einer der wenigen, denen es noch gelingt, sich öffentlich Gehör zu verschaffen, ist der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer. Er kennt die Szene in- und auswendig. 1982 schrieb er mit Eva Kapfelsperger sein erstes Buch mit demTitel Iss und stirb . DieAutoren entlarvten das Gepansche in der damaligen Nahrungsmittelproduktion, die drastischen Gesundheitsgefahren durch
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