Schlehenherz
könnte wieder gehen. Die struppigen Topfpflanzen, auf deren Blättern Staub klebte, der dunkelgraue, harte Nadelfilzteppich und der Geruch nach abgestandenem Kaffee, der wie ein bitterer Hauch über allem lag – ich wollte hier nicht bleiben und Vios und meine Freundschaft ausbreiten, damit die Polizei sie sezieren und analysieren konnte, so wie sie es vielleicht mit Vios Körper gemacht hatten. Wie hieß noch mal diese Abteilung, wo sie Leute obduzierten? Mir fiel es nicht ein, mein Kopf war wie leer gefegt.
»Elina, wie lange kannten Sie Viktoria Neubauer?«
Viktoria Neubauer? Für mich klang das fremd. Warum sagte sie nicht Vio – wie alle anderen?
»Fünf Jahre.«
»Sie waren in einer Klasse. Sogar Banknachbarinnen. Wie gut kannten Sie Viktoria?«
»Wie meinen Sie das, wie gut ich sie kannte? Wir waren beste Freundinnen!«
»Ich meine, haben Sie sich alles erzählt, wussten Sie, was Viktoria gerade beschäftigt, mit wem sie Umgang hatte … in wen sie vielleicht verliebt war?«
Das gab mir einen Stich. Verliebt. War Vio in Till verliebt gewesen? Hätte sie mir das tatsächlich angetan, mit ihm zu gehen, wenn sie doch wusste, dass sie mir damit das Herz brach?
Ich schwieg und merkte, wie die Kommissarin mich mit einem forschenden Blick musterte. Meine Abneigung gegen sie wuchs. Was wollte sie? Sollte ich alle Träume, alle Probleme Vios vor ihr ausbreiten? Der Polizei von Paris erzählen? Damit die Kommissarin alles fein säuberlich in ihrem Protokoll festhalten konnte? Wollte sie alle Geheimnisse und Wünsche von Vio ans Licht zerren, fein säuberlich durchnummerieren und dann abheften? Als wäre Vio eine Aktenzahl. Aber sie war meine Freundin.
Das alles interessierte diese Kommissarin offensichtlich nur, weil ich ihr Fakten liefern konnte für ihren »Fall«. Kein Wort davon, dass Vios Tod ihr leidtat oder die Frage, wie es mir damit ging, dass meine beste Freundin ermordet worden war. Wahrscheinlich hatte die gar keine Freunde. Nie gehabt, so fischkalt und karrieregeil, wie sie wirkte …
»Elina, haben Sie meine Frage verstanden?«
Klar habe ich sie verstanden, aber ich habe keine Lust, Ihnen zu antworten, Frau Polizei-Oberschlau-Kommissarin.
»Ich glaube, ich kann Ihnen nicht helfen. Vio war … normal. Sie hatte keine Probleme. Und auch keine Feinde«, fügte ich hinzu, denn diese Frage kam immer in Fernsehkrimis: »Hatte das Opfer Feinde?«
Sicher, die Lehrer waren nicht gut auf Vio zu sprechen gewesen, die Bio-Gärtner allen voran. Nessie konnte Vio garantiert auch nicht ab. Aber keiner von denen hätte Vio umgebracht.
»Sie haben mehrmals versucht, Viktoria am Tag nachihrem Verschwinden anzurufen. Gab es einen besonderen Grund?«
Vielleicht weil ich mir Sorgen gemacht habe, dachte ich. Weil ich da schon wusste, dass Vio nicht nach Hause gekommen war. Weil wir uns gestritten hatten … Ich spürte, wie sich bei diesem Gedanken mein Magen zusammenzog.
Eine Welle der Übelkeit schwappte meine Kehle hoch und ich hatte Angst, dass ich mich gleich übergeben müsste. Und wenn, würde ich versuchen, die schicken Lederboots der Kommissarin zu treffen. Es ging mir auf die Nerven, dass die mich so kühl und ungerührt anstarrte, als wäre ich ein interessantes Insekt, das aufgespießt in einem Glaskasten ausgestellt war.
»Viktoria hatte einen Laptop. Wussten Sie das?«
Ich nickte. Vios Laptop, ein großzügiges Geschenk ihres Vaters voriges Jahr zu Weihnachten – wahrscheinlich aus schlechtem Gewissen, weil er sich so selten blicken ließ –, war Vios größter Schatz gewesen.
»Wissen Sie, wo Viktoria ihr Notebook aufbewahrt hat? In ihrem Zimmer war es nicht.«
Ich hörte kaum hin, denn ich musste an Vio denken, wie ich sie veräppelt hatte, ob sie im Internet einen Millionär suchen wollte. Wie verrückt Vio nach Klamotten war. Jetzt würde sie keine mehr brauchen. Nie mehr.
»Elina, würden Sie meine Frage beantworten?«
Die Stimme der Kommissarin riss mich abrupt aus meinen Erinnerungen.
Und auf einmal reichte es mir: »Wieso quetschen Sie eigentlich mich aus? Finden Sie lieber den, der das mit Vio gemacht hat! Oder glauben Sie, ich hab sie umgebracht?«
»Elina, niemand verdächtigt Sie. Ich will doch nur wissen …«
»Nein. Sie wollen nichts wissen , Sie schnüffeln in unserer Freundschaft herum! Wieso? Das, was mit Vio passiert ist, hat nichts mit uns zu tun! Aber statt den Mörder zu finden, sitzen Sie hier, trinken Kaffee und stellen mir sinnlose Fragen! Ich weiß nicht, wo
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