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Schlehenherz

Schlehenherz

Titel: Schlehenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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schlecht. Von dem Geruch und weil ich kaum mehr Luft bekam. Offenbar hatte der Angreifer das eine Ende des Schals zu fassen bekommen und zog die Schlinge jetzt gnadenlos zu.
    All das spielte sich in Sekundenbruchteilen ab, doch mir kam es vor, als liefe das Geschehen in Zeitlupe. Wenigstens hatte ich noch genügend Verstand, mich blitzschnell um die eigene Achse zu drehen, sodass sich der Schal von meinem Hals wickelte. Den hielt der Verfolger nun in der Hand und ich war frei. Ganz kurz hatte ich einen Blick auf sein Gesicht erhaschen können: Der gesamte Kopf war schwarz verhüllt, nur zwei Augenschlitze stachen wie zwei helle, kalte Silbermünzen aus der dunklen Fläche heraus. Ohne zu zögern, rannte ich wieder los. Hinter mir konnte ich hören, dass der Maskierte offenbar durch meine ruckartige Befreiung vom Schal das Gleichgewicht verloren hatte und gestolpert war. Er knurrte wie ein wildes Tier und ich hörte, wie er schwerfällig die Verfolgung wieder aufnahm. Doch ich hatte einen Vorsprung herausgeholt und vor mir lag auch schon der Parkplatz.
    Nur ein einziger Wagen stand dort, mit beschlagenen Scheiben – und brennender Innenbeleuchtung. Ich schluchzte vor Erleichterung und riss die Beifahrertür auf.
    Lady Gaga dröhnte durch die Nacht und ich blickte in das entgeisterte Gesicht von Nessie. Noch nie im Leben war ich so froh gewesen, sie zu sehen.
    Nachdem sie mich mehrere Sekunden sprachlos und mit offenem Mund angestarrt hatte, brachte sie schließlich heraus: »Lila?«
    Hustend und keuchend konnte ich nur den Kopf schütteln, sprechen war im Moment unmöglich. Mit den Unterarmen stützte ich mich auf das Autodach und schnappte nach Luft wie ein Koikarpfen auf dem Trockenen.
    Vor meinen Augen tanzten rote Funken und daher konnte ich den Typ neben Nessie nur schemenhaft erkennen. Es war mir auch völlig egal, ob da Frankenstein Junior oder Justin Bieber im Auto saß – Hauptsache die Anwesenheit der beiden hatte den Angreifer verjagt. Sicherheitshalber spähte ich in die Dunkelheit, doch nichts rührte sich. Eine Ahnung sagte mir, dass der Maskierte wieder in die schützende Dunkelheit des Moors eingetaucht war.
    Ich war ihm entkommen.
    Jetzt klapperten mir auf einmal die Zähne und meine Beine wollten mich keine Sekunde länger tragen. Mit letzter Kraft gelang es mir, die hintere Tür des Wagens zu öffnen. Schlotternd sank ich auf den Rücksitz.
    »Lila, was ist denn los, jetzt sag doch endlich!?«
    Nessies leicht hysterischer Ton ließ mich die Augen öffnen. Ich sah in ihr bleiches Gesicht. Auch der Junge auf der Fahrerseite hatte sich halb zu mir umgedreht und musterte mich besorgt. Flüchtig dachte ich, dass er in unsere Schule ging, ich hatte sein Gesicht schon mal in der Pausenhalle gesehen. Offenbar war er Nessies neuester Fang und diebeiden waren hier auf den Parkplatz gefahren, um ungestört zu sein. Das hatte mir wahrscheinlich das Leben gerettet.
    Ich schuldete Nessie was, zumindest eine Erklärung. Ich öffnete den Mund, doch brachte erst mal nur ein Krächzen heraus. Mein Hals tat so weh … Ich hustete und dann flossen die Tränen. Der ausgestandene Schock, die Todesangst – ich war nur noch ein Bündel Elend.
    »Hier, nimm ’nen Schluck!«
    Eine Flasche wurde mir vor die Nase gehalten und mit zitternden Fingern griff ich danach und trank. Kleine Flammen schienen durch meine Kehle bis runter in den Magen zu züngeln. Ich schnappte nach Luft, doch der scharfe Schnaps half mir immerhin, wieder halbwegs zu mir zu kommen.
    »Jemand war im Moor hinter mir her«, brachte ich heraus. »Er hatte eine schwarze Maske mit Augenschlitzen über den Kopf gezogen. Ich bin davongerannt, aber er hat mich verfolgt. Dann hat er ein Ende von meinem Schal erwischt …« Ich stockte. Die Erinnerung an das Gefühl des Erstickens war plötzlich wieder da und ich spürte erneut die Wollfäden, die in meinen Hals einschnitten …
    »Mann, Lila, wir müssen die Bullen holen, das ist ja voll krass«, sagte Nessie und wirkte plötzlich ganz vernünftig.
    In ihrem Blick lag echte Sorge um mich. Darüber war ich so erstaunt, dass ich einen Moment lang sogar meine Panik vergaß. Dann aber schüttelte ich den Kopf. »Keine Polizei«, sagte ich heiser.
    »Was? Warum denn nicht? Ein Irrer jagt dich durchs Moor – und du willst nicht zur Polizei?«, schaltete sich nun auch der Junge auf dem Fahrersitz ein.
    Ich dachte an die kühle Stimme der Kommissarin und wie sie mich heute Nachmittag am Telefon auflaufen hattelassen.

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