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Schlehenherz

Schlehenherz

Titel: Schlehenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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Wut und Verzweiflung schlugen wie eine meterhohe Welle über mir zusammen. »Die würden mir nicht glauben! Die halten mich für eine hysterische Kuh. Erst vor ein paar Stunden hab ich wegen Vios Tod noch mal bei der Polizei angerufen, und weißt du, was die Kommissarin gesagt hat? Ich soll sie doch einfach ihren Job machen lassen!«
    Vorsichtshalber erwähnte ich nicht, dass ich Till verdächtigt hatte. Nessie und ihr Begleiter tauschten einen Blick.
    »Blöde Bulette«, sagte der Junge kopfschüttelnd.
    »Trotzdem, wenn hier draußen ein Psycho rumläuft, muss die Polizei nach ihm suchen«, beharrte Nessie.
    »Ach ja? Habt ihr etwa gesehen, wer mich verfolgt hat? Oder dass mich jemand verfolgt hat?«, fragte ich lauernd.
    Und fuhr, als ich ihre bedröppelte Miene sah, unbarmherzig fort: »Da habt ihr’s. Ihr habt nichts gesehen – und ich kann den Typen nicht mal beschreiben. Die Polizei könnte also locker denken, ich will mich nur wichtigmachen.«
    Meine Schockstarre war einer fast schmerzhaften Klarheit gewichen. Ich fühlte mich hellwach und bildete mir ein, vollkommen logisch zu denken und zu handeln.
    Doch Nessie starrte mich nur schweigend an.
    »Was?«, rief ich ungeduldig. »Ich habe nichts in der Hand, keinen einzigen Beweis, dass ich mir das alles nicht nur eingebildet habe.«
    Schweigend stellte Nessie den Rückspiegel so ein, dass ich mich darin betrachten konnte. Erst wusste ich nicht, was sie meinte, doch dann sah ich es: Um meinen Hals zog sich ein roter Streifen – genau dort, wo der Schal in die Haut eingeschnitten hatte, als der Maskierte mich erwischt hatte. Auf einmal hatte ich wieder den widerlich-beißenden Geruch meines Verfolgers in der Nase.
    Es gelang mir gerade noch, die Autotür zu öffnen. Ichtaumelte aus dem Auto, sank auf die Knie und erbrach mich, bis nur noch bittere Galle kam.

    Meine Mutter stand in der Haustür, als ich mit steifen Beinen aus dem Auto stieg. Nessie, beziehungsweise ihr Neuer, von dem ich inzwischen wusste, dass er Alex hieß und nächstes Jahr Abi machte, hatten mich nach Hause gefahren. Meine Mutter musste den Motor von Alex’ Wagen gehört haben, denn sie hatte das Außenlicht angeknipst und erwartete mich bereits an der Treppe.
    Ich hatte Nessie und Alex eingeschärft, niemandem etwas von meinem Erlebnis mit dem Maskenmann zu erzählen. Jetzt schlug ich den Kragen meiner Jacke hoch und versuchte mich möglichst unauffällig an meiner Mutter vorbeizudrücken. Vergeblich.
    »Lila, verflixt! Wo hast du bloß gesteckt, hab ich dir nicht ausdrücklich gesagt, du sollst in einer Stunde wieder da sein? Weißt du überhaupt, was ich mir für Sorgen gemacht habe?«, legte sie los und stellte sich mit verschränkten Armen mitten in den Flur.
    Keine Chance für mich, in mein Zimmer zu verschwinden.
    Ich ließ den Kopf hängen. Weniger aus schlechtem Gewissen, sondern damit sie den roten Striemen an meinem Hals nicht bemerkte.
    »Ja, sorry, ich hab zufällig noch Nessie und Alex aus der Schule getroffen«, murmelte ich, was zumindest halbwegs der Wahrheit entsprach.
    »Wir haben dir erst zum Geburtstag ein Handy gekauft, das nicht gerade billig war. Vielleicht benutzt du das mal, um Bescheid zu geben, statt es die ganze Zeit ausgeschaltet zu lassen?«, motzte meine Mutter.
    »Hab’s vergessen mitzunehmen, kommt nicht wieder vor«, nuschelte ich.
    Weil meine Mutter nicht aussah, als würde sie sich damit zufriedengeben und ich Angst bekam, dass mein Erlebnis aufflog, bemühte ich mich um einen möglichst aufsässigen Ton: »Kann ich jetzt vielleicht mal in mein Zimmer, mir ist nämlich kalt?!«
    Meine Mutter musterte mich argwöhnisch: »Kein Wunder, wenn du bei dem Wetter ohne Schal rausgehst. Wir haben Herbst, falls dir das entgangen sein sollte.«
    Ihr war offenbar nicht aufgefallen, dass ich mit Schal das Haus verlassen hatte, aber ohne wiedergekommen war. Mir fielen die Rätselbilder ein, die ich als Kind so geliebt hatte. »Findest du den Fehler?«, hieß es da, und gezeigt wurden zwei identische Bilder, die sich nur durch Kleinigkeiten unterschieden: Zum Beispiel trug jemand auf dem einen Bild eine rote und auf dem anderen eine blauen Mütze. Oder eben einmal einen Schal und einmal keinen. Punktabzug für Mama, dachte ich und hätte beinahe hysterisch losgekichert. Obwohl mir eigentlich eher zum Heulen zumute war.
    Eine Sekunde lang überlegte ich tatsächlich, ihr alles zu erzählen. Das hätte nur einen riesigen Aufstand gegeben. Ich kannte meine Mutter und

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