Schlehenherz
würde einen anderen Weg finden, an sie heranzukommen. Und er wusste auch schon, wie. Darauf fielen sie alle rein, diese dummen, eitlen Dinger. Er entblößte die Zähne zu einem wölfischen Lächeln. Du weißt es noch nicht, dachte er, aber du gehörst bereits mir …
* * *
Ich lag im Bett und hatte mir die Decke bis zum Kinn gezogen. Doch weder das heiße Bad eben, noch die Daunendecke konnten die Kälte vertreiben, die sich in meinem ganzen Körper breitgemacht hatte und bis in die Knochen zu reichen schien. Ich mummelte mich noch tiefer ein, trotzdem schlotterte ich, als stünde mein Bett in einem Iglu und nicht in meinem warmen Zimmer. Ich versuchte tief und ruhig zu atmen und mir immer wieder vorzusagen, dass ich in Sicherheit war und keine Angst mehr haben musste. Langsam begann ich an meine eigenen Worte zu glauben. Ja, es kam mir sogar vor, als wäre alles nur ein böser Traum gewesen.
Genau so musste es sein – Vio war nämlich wieder da. Als ich zu unserem Hochstand kam, stand sie dort und winktemir zu. Meine Freude über ihren Anblick war unbeschreiblich, genau wie meine Erleichterung. Ich rannte auf sie zu. Ich musste ihr unbedingt erzählen, welchen grässlichen Albtraum ich gehabt hatte: dass sie ermordet worden war und ihr Mörder wahrscheinlich auch mich umbringen wollte.
Ich lief und lief, doch mit jedem Schritt, den ich näherkam, entfernte sie sich wieder von mir, obwohl sie einfach nur dastand. Dafür rief sie mir etwas zu, doch ich konnte nichts hören. Ich sah nur, wie sich ihr Mund bewegte.
Jetzt fing sie an, aufgeregt herumzufuchteln und mit der Hand in meine Richtung zu deuten. Was wollte sie nur? Vios Gesicht war jetzt angstverzerrt. So als wollte sie mich warnen: vor etwas, das mich bedrohte, das direkt hinter mir war?! Ich fuhr herum – und starrte in die weißen Augenschlitze des Maskenmannes.
Mit einem erstickten Laut setzte ich mich kerzengerade im Bett auf. Mein Puls raste und mein Schlafshirt klebte mir schweißnass am Körper. Erst nach ein paar Sekunden realisierte ich, dass ich nur geträumt hatte. Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ ich mich in die Kissen zurückfallen und schloss die Augen.
Ich dämmerte langsam weg, dann aber beschloss ich doch, meine Mutter zu wecken und ihr alles zu erzählen.
Leise stand ich auf und ging barfuß zur Tür. Ich trat auf den Flur und wollte zum Schlafzimmer meiner Eltern gehen, als ich hinter mir Schritte hörte. Um mich herum war es stockfinster. Und dann fühlte ich unter meinen Füßen nicht mehr das Parkett unseres Wohnungsflurs, sondern die harten Grashalme der Moorwiesen. Ich fing an zu rennen. Hinter mir vernahm ich den stoßweisen Atem eines Verfolgers. Er jagte mich. Verzweifelt schlug ich einenHaken, doch ein toter Baum war mir im Weg. Ich stolperte und fiel hin. Als ich mich aufrappelte, sah ich neben mir jemanden liegen. Weißes Kleid, rote Haare: Vio. Sie hatte die Augen geschlossen und schien zu schlafen. Ich rüttelte sie, um sie aufzuwecken. Wir mussten hier weg, ehe er uns erwischte. Doch Vio rührte sich nicht und mir wurde klar, dass sie tot sein musste. Ich sprang auf – und prallte gegen eine schwarze Gestalt. Gedämpft von der schwarzen Maske, die sein Gesicht verdeckte, hörte ich seine Stimme: »Aber Lila – du bist doch auch schon tot!«
Diesmal erwachte ich mit einem Schrei. Ich sprang aus dem Bett und tastete fahrig nach dem Schalter meiner Nachttischlampe. Endlich hatte ich ihn gefunden. Trotzdem brauchte ich drei Versuche, bis ich mit zitternden Fingern die Lampe angeknipst hatte und ihr sanftgelber Schein das Zimmer in tröstliche Helle tauchte. Langsam normalisierte sich mein Herzschlag und ich hörte auf zu zittern wie ein Wackelpudding.
Ich beschloss, die Lampe noch eine Weile brennen zu lassen. Nur so lange, bis ich mich wieder vollständig beruhigt hatte.
Das Licht brannte die ganze Nacht.
Am Morgen blieb ich einfach liegen. Mochte der Wecker noch so laut klingeln, ich brachte es nicht fertig, aufzustehen. Mein ganzer Körper fühlte sich an wie durch den Fleischwolf gedreht. Mir tat jeder Muskel weh und ich hatte kaum geschlafen. Als meine Mutter den Kopf durch die Tür steckte, »Lila, du solltest seit zwanzig Minuten aufstehen«, drehte ich mich einfach zur Wand.
Natürlich kam sie rein und fragte, was mit mir los wäre. Ich erzählte ihr was von Halsweh und Kopfschmerzen.Offenbar sah ich – die Bettdecke bis zur Nasenspitze gezogen – derart elend aus, dass der mütterliche
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