Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
sind in eine Kneipe gegangen. Dort hat sie mir erzählt, was damals passiert ist, zwischen ihr und ihrem Vater. Sie hat gesagt, wenn sie nicht fortgegangen wär, hätte sie sich umgebracht. Und wenn sie jemals erfahren würde, dass ich jemandem im Dorf davon erzähle, würde sie das auch heute noch tun.«
»Und was ist dann passiert?«
»Als ich das nächste Mal zu Hause bei uns im Dorf war, hab ich dem alten Wenzl eine reingehauen. Und ihm schöne Grüße von Maria ausgerichtet.«
»Krass, und was hat er gemacht?«
»Mir die Nase gebrochen.«
»Ach, deswegen hat die diesen kleinen Knick in der Mitte.«
Max lachte trocken. »Mmmmmh. Du solltest erst mal die Narben sehen, die übrig geblieben sind, als er mich mit der Heugabel erwischt hat.«
Wir schwiegen. Nach einer Weile fuhr Max fort. »Manchmal denke ich, dass es alle im Dorf wissen. Aber keiner redet darüber.«
»Warum nicht?«
»Das hab ich mich auch oft gefragt. Vielleicht, weil er ihnen so ähnlich ist … Weil er einer von ihnen ist. Deswegen haben sie eine solche Angst. Wenn er zu solch einer Schweinerei fähig war … Davor haben sie Angst. Dass sie genauso sind wie er. Deswegen tun alle lieber so, als wäre gar nichts geschehen. Weil so etwas in unserem Dorf gar nicht geschehen kann. Und darf.«
»Heile Welt?«
»Genau: heile Welt! Und so soll sie bleiben. Koste es, was es wolle.«
Ich konnte Max sehr gut verstehen. Auf Dauer kann das nicht gut gehen, wenn ein Bild, eine Vision mächtiger sein will als die Wirklichkeit und man verzweifelt versucht, dass das Bild keine Kratzer bekommt. Ich hatte das im Osten ja selbst erlebt, in einer ungleich größeren Dimension. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass Max und ich einander nicht fremd waren.
19. Kapitel: In welchem einem Berliner erklärt wird, warum alle Menschen und insbesondere er Deppen sind und das auch gut so ist
Nach einer ruhigen Nacht, ich war einfach schneller eingeschlafen als Max und die anderen Schnarcher, kam mir das morgendliche Ritual auf der Hütte bereits sehr vertraut vor. Die Frühaufsteher lärmten, alle anderen gönnten sich noch eine Mütze voll Schlaf. Anziehen, ein kurzes Frühstück, und raus ging es in die morgendliche Kühle. Ohne großartig Tempo zu machen, stiegen Max und ich in Richtung des Ingolstädter Hauses, das am Rande des Steinernen Meers lag. Das Steinerne Meer ist ein gigantisches Plateau, und unser Weg führte uns mitten hindurch. Ich war wie erschlagen von der Weite. Aus der zerfurchten Steinebene ragten nur einige wenige Felsspitzen heraus. Ich fühlte mich hier wie auf dem Mond. Wie nicht von dieser Welt. Entrückt. Wir hörten nur noch unsere eigenen Schritte und ab und an den Wind, wenn er an einem Rucksack-band surrte. Es war, als ob die Stille uns rufen würde. Schweigend gingen wir weiter. Hier gab es nichts zu sagen.
In etwas mehr als sechs Stunden hatten wir das Ingolstädter Haus erreicht. Es war gerade einmal vierzehn Uhr. Max und ich nutzten die Zeit für ein ausgiebiges Sonnenbad. Als Max sein T-Shirt auszog, entdeckte ich drei eindrucksvolle Narben an der rechten Seite seines Rumpfes, die für mich gleich noch ein wenig eindrucksvoller aussahen, da ich ihre Geschichte kannte. Ich grübelte. Wie immer. Diesmal über das Wandern. Ich blieb dabei, das Wandern war monoton. Man machte wirklich nichts anderes, als stundenlang einen Fuß vor den anderen zu setzen, der Herzschlag die meiste Zeit am Limit. Doch die Monotonie hatte sich mit der Zeit für mich gut angefühlt. Vor allem dann, wenn man dabei derart herrliche Landschaftskulissen erlebte. Man bekam dabei den Kopf frei. Großreinemachen im Gehirn. Na ja, ein Grübler wie ich räumte vielleicht nicht gleich den ganzen Schrank aus, sondern nur ein paar Schubladen. Aber immerhin.
»Du, Max, was ich dich schon die ganze Zeit fragen wollte. Was recherchieren wir eigentlich auf unserer Tour?« Der findige Max hatte nämlich zwei von den drei Tagen, die wir freinehmen mussten, als Recherche für eine Geschichte deklariert und uns so zwei Urlaubstage gerettet.
»Alte bayerische Schmugglerpfade.«
»Aha, und … müssen wir für die Geschichte noch etwas machen?«
»Naa, die hab ich längst fertig. Kannst dich entspannen.«
Da musste er nicht zweimal bitten. Ich schloss die Augen, roch die Sonne. Atmete die Stille ein und ließ meine Gedanken treiben. So ließ es sich leben.
»Mei, ihr Bayern habt wirklich Glück gehabt, mit den Bergen und so … das ist schon ein richtig schönes
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