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Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Titel: Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wiechmann
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hingeworfene »Depp, du!« wurde entweder mit einem fröhlichen Lachen oder einem »Ja mei« hingenommen. Nur in ganz seltenen Fällen konterte der Beschuldigte mit einem knackigen »Arschloch«. Was dann auch meist zu einer sofortigen Beendigung des Gespräches führte. Wahrscheinlich enthielt das Wort »Arschloch« in Bayern die Metabotschaft: »Lass mich in Ruhe.«
    »Ich bin kein Depp«, wehrte ich mich gegen die Beschuldigung. »Ich spiel halt nicht so oft Karten wie du!«
    »Klar bist a Depp!«, entgegnete Max bestimmt. Sein Ärger war längst verraucht, er grinste schon wieder.
    »Wieso? Ich finde, du gehst ziemlich lax mit derlei Beschimpfungen um.«
    »Des is koa Beschimpfung.«
    »Was denn sonst?«
    »Des is a Meinung«, erklärte Max sachlich, »und deswegen immer erlaubt.« Ich fand nicht, dass es in diesem Fall angebracht war, sich auf Artikel 5 des Grundgesetzes zu berufen, in dem die Meinungsfreiheit geregelt wurde.
    »Manchmal ist’s natürlich aber auch eine Tatsachenbehauptung«, mischte sich einer der beiden Kletter-Klone in unsere Unterhaltung mit ein. Auch er hatte mit mir im Verbund so manches Spiel verloren, von dem alle am Tisch hinterher behauptet hatten, dass man es nicht hätte verlieren können. Ich allerdings hatte das Unmögliche möglich gemacht. Bevor ich ihm erklären konnte, dass meiner Meinung nach Österreicher nichts weiter sind als der erste fehlgeschlagene Versuch Gottes, Deutsche zu machen, lachte Max mich an und sagte:
    »Du musst da a bisserl lockerer werden.«
    »Ich bin total locker.«
    »Des Einzige, was bei dir locker ist, san ein paar Schrauben im Hirn«, dröhnte Max. Die Klone stimmten ihm zu. »Naa, war nur ein Spaß. Du derfst des net alles immer so eng sehen. Schau dir zum Beispiel unseren Oberbürgermeister daheim in München an. Der hat einmal in Schwabing einen Papageien kennengelernt. Aber nicht irgendeinen. Des war ein gebildeter, schlauer Papagei. Der hat einer Operndiva gehört. Und als er den Ude gesehen hat, was hat er da gerufen? ›Du Arschloch!‹ Und was hat der Ude gemacht? Er hat sich mit dem Papageien angefreundet und ihn danach öfter besucht. Da kannst dir ein Beispiel dran nehmen.«
    »Ich soll mich von einem Papagei beschimpfen lassen? Wieso das denn?«
    »Siegst des, du bist doch a Depp. Es geht net um den bleden Papagei, es geht ums Prinzip!«
    Ich verstand nur Bahnhof. Doch Max hatte Mitleid mit mir und weihte mich in die tiefere Logik der bayerischen Beschimpfungslehre ein.
    »Des wird jetzt a bisserl philosophisch«, sagte Max. »Hast schon mal was vom Deppenprinzip gehört?«, fragte er mit ernster Stimme.
    »Nein.«
    »Also, das Deppenprinzip besteht aus zwei wichtigen Thesen. These Nummer 1: Die wenigsten von uns behaupten von sich, ein Depp zu sein. These Nr. 2: Aber die meisten von uns sind es.«
    Ich hätte es ahnen müssen. Philosophisch bedeutete nichts anderes, als dass das, was Max zu sagen hatte, sehr, sehr merkwürdig klang. Doch Max ließ sich nicht beirren.
    »So, das theoretische Fundament steht. Jetzt kommt der praktische Teil. Wie hoch schätzt du eigentlich die Deppen-quote in deinem persönlichen Umfeld ein?«
    Ich schaute Max leutselig an: »Im Moment?«
    »Nein, eher allgemein. Den ganzen Tag über. Auf alle Menschen gerechnet, mit denen du so zu tun hast.«
    »Vielleicht würde es mir helfen, wenn ihr mir erst mal sagt, was eigentlich genau ein Depp ist.«
    »Des darfst net so eng sehen. Nimm einfach alle Menschen, bei denen man sich immer wieder die Frage stellt, wie sie den Tag eigentlich überleben. Menschen, deren Dummheit dir körperliche Schmerzen bereitet«, schlug Max vor. »Ich zum Beispiel, ich leide jeden Tag Höllenqualen. Obwohl man es mir nicht ansieht.«
    So ganz war mir noch immer nicht klar, worauf Max hinauswollte. Aber ich dachte lange und sorgfältig nach und antwortete:
    »Also, ich würde sagen, dass achtzig Prozent meiner Mitmenschen Deppen sind.«
    »Halleluja. Bist du ein guter Mensch«, stöhnte Max. Seine Deppenquote lag bei 99 Prozent. Er betonte jedoch, dass an manchen Tagen hinter dem Komma noch weitere Zahlen folgen würden.
    »So, und jetzt wird’s kompliziert«, fuhr Max mit seinen Erklärungen fort. »Anhand der eben genannten Deppenquoten ist klar: Die Welt da draußen ist voller Deppen. Des is Fakt. Die alles entscheidende Frage ist nun allerdings, wer von uns ist wirklich und wahrhaftig ein Depp?«
    Er machte eine kleine Pause, um die Wirkung seiner Frage zu verstärken. Ich wurde

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