Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
neugierig. Wusste Max tatsächliche eine Antwort auf die Frage, welche Menschen Idioten sind und welche nicht?
»Ich sag dir ein Beispiel. Nehmen wir zum Beispiel uns vier. Wir sitzen hier zusammen. Und nehmen wir jetzt einmal weiter an, rein hypothetisch, dass ich dich für einen Nichtdeppen halte. Und du zählst mich ebenso zu den Nichtdeppen. Dann sitzen also zwei Nichtdeppen hier am Tisch. Jetzt haben wir jedoch hier ja noch den Xaver. Und nehmen wir jetzt einmal an, dass wir beide den Xaver für einen Deppen halten. Wie viele Deppen und Nichtdeppen sitzen dann jetzt am Tisch?«
Ich überlegte. »Ein Depp, zwei Nichtdeppen …. Kann das sein?«
»Falsch! Du hast den Xaver und mich nicht mitgezählt. Denn der Xaver wiederum hält dich natürlich für einen Deppen. Mich nicht. Summiert man all diese Ansichten, sitzen am Tisch insgesamt drei Deppen und drei Nichtdeppen. Wos man selber über sich denkt, zählt nicht.«
Das hatte ich verstanden. Eins kam mir allerdings komisch vor. »Hab ich das jetzt richtig mitbekommen, dass dich in der ganzen Geschichte niemand für einen Deppen hält?«
»Zufall«, wimmelte Max ab. »Wennsd lang genug suchst, findest auch einen, der mich für einen Deppen hält. Viel entscheidender ist doch: Ob jemand ein Depp ist oder nicht, hängt nicht davon ab, was er tut oder sagt, sondern einzig und allein von der Tatsache, mit wem er gemeinsam an einem Tisch sitzt. Irgendeiner hält dich immer für einen Deppen. Ich meine, es gibt Leute, die Gandhi nicht leiden mochten, es gibt Menschen, die George Bush zum Präsidenten gewählt haben. Es gibt sogar welche, die Dieter Bohlen zu einem reichen Menschen gemacht haben. Die Welt ist voller Irrer. Es hängt alles nur von der Perspektive ab, aus der man das Ganze betrachtet. Und betrachtet man nun all diese unterschiedlichen Perspektiven und Meinungen nicht mehr nur für sich, sondern öffnet seinen Blick auf das große Ganze, dann lässt sich daraus nur eines folgern: Im Grunde genommen sind wir alle Deppen.«
»Ach so.«
»Und deswegen darf man es auch jedem sagen«, ergänzte Max triumphierend.
Ich dachte über das, was Max gesagt hatte, nach. Ich hatte das dringende Gefühl, dass irgendetwas in der Argumentation von Max nicht stimmte. Doch ich kam nicht drauf. Aber die Schlussfolgerung, die Tatsache, dass wir im Grunde genommen alle Deppen waren, gefiel mir. Die Erkenntnis fühlte sich sehr … entspannt an. Nur eines war mir nicht ganz klar:
»Was ist eigentlich, wenn dich alle anderen Menschen für einen Deppen halten? Ich meine, wirklich alle! Wenn es auf der ganzen Welt keinen anderen gibt, der dich sozusagen zum Nichtdeppen macht?«
Diesmal schaute Max ziemlich ratlos drein.
»Ja mei, also dann hast allerdings schon ein ernsthaftes Problem.«
Francesca war sehr skeptisch, als ich am Abend am Telefon versuchte, ihr das Deppenprinzip herzuleiten. Ich war extra noch eine halbe Stunde den kleinen Hundstod hinaufgelaufen, um einen besseren Handyempfang zu haben. Geduldig hörte Francesca zu. Als ich fertig war, gähnte sie und sagte:
»Hast du dir eigentlich mal überlegt, dass Max dich reingelegt hat? Dass er dir …« Sie verstellte ihre Stimme, sodass sie tiefer und brummiger klang: » … oan rechten Schmarrn erzählt hat.« Sie gab mir einen Gute-Nacht-Kuss durchs Telefon. Ich war wie vom Donner gerührt. War das möglich? Dass Max sich einen Spaß mit mir gemacht und mir einen Bären aufgebunden hatte? Aber warum? Ich überlegte. In Gedanken ging ich das Gespräch noch einmal durch. Hatte es irgendwelche verräterischen Zeichen gegeben? Ein Schmunzeln an der falschen Stelle? Ein intensiver Blick, ob ich die Märchengeschichte auch schlucken würde? Ich konnte mich an nichts dergleichen erinnern. Den ganzen Rückweg über zermarterte ich mir den Kopf, beim Abendessen und auch vor dem Einschlafen. Doch egal, wie ich es drehte oder wendete, wenn Francesca recht hatte, dann war ich wirklich ein Depp. Vielleicht sollte ich aufhören, immer so viel über das nachzudenken, was andere Menschen mir erzählten.
Samstag, der letzte Tag unserer Wanderung. In aller Früh brachen wir auf zum Kärlingerhaus am Funtensee. Der See hat sich einen Namen als kältester Ort Deutschlands gemacht. Doch jetzt im Hochsommer war er umgeben von sattem Grün. Im Gegensatz zu den kargen Gräsern und Moosen, die im Steinernen Meer einen aussichtlosen Kampf fochten, wucherten hier Bäume und Pflanzen in üppiger Pracht. Nach einer längeren Mittagspause
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