Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
Stück Heimat, das ihr da habt«, sagte ich zu Max, der neben mir in der Sonne döste. Ohne die Augen zu öffnen, murmelte er zurück:
»Heimat? Die Berge? … Is des wirklich die Heimat? Weißt … I denk mir immer, die schöne Landschaft allein, die kommt ganz gut ohne uns zurecht. Die wird nicht schöner, weil du hier bist. Oder ich .…« Max setzte sich auf und schaute zu mir rüber. »Die Landschaft is nich die Heimat, sondern des, was wir draus machen. Wenn wir jetzt im Ruhrgebiet wären, säßen wir beide jetzt in einer Kohlengrube, und des wär trotzdem Heimat. Weißt, wann das Leben am schönsten ist? Wenn die Leit zusammenhocken, es was Gscheids zu essen und zu trinken gibt und man über Gott und die Welt ratschen kann. Des ist Heimat. Die anderen. Deine Familie, die Kollegen, Leute wie der alte Wenzel, die Maria, ich. Und jetzt sogar einer wie du!«
Wieso wusste Max immer auf alles eine Antwort? Und dazu noch ziemlich einleuchtende? War er die Wiedergeburt eines berühmten Philosophen? Aber wenn ja, von welchem?
»I brauch was zu dringa. Wuist a was?«, holte mich Max nach einer Weile aus meinen Gedanken zurück.
»Ja mei, I glaub, a Weißbier wär jetzt ned schlecht!«, radebrechte ich.
Max schüttelte lachend den Kopf: »Sofort, der Herr!«
Ich dachte über das nach, was Max gesagt hatte. Die Heimat, das sind die anderen. Der französische Philosoph Sartre hatte das mal ein wenig anders formuliert. Bei ihm waren die anderen die Hölle. Mit seinen Ideen zum Existenzialismus und zum Sein und dem Nichts wäre Sartre in Bayern wohl nicht sehr weit gekommen. Kein Wunder, dass die Bayern sich selbst bei jeder Gelegenheit versichern: Mir san mir. Ohne genau Rechenschaft darüber abzulegen, wofür das »mir« eigentlich genau steht. Die Bayern sind nicht irgendwer. Die Bayern, die sind in erster Linie bei sich. Was für seltsame glückliche Menschen.
Es war noch früher Abend und Max hatte zwei andere Wanderer angehauen, um Karten zu spielen. Es waren Österreicher, die aussahen wie Klone der Huberbuam, eines bayerischen Brüderpaars, das zu den besten Solo- und Speedkletterern der Welt gehörte. Wenn eine Eiche und ein Felsen miteinander Kinder zeugen könnten, das Ergebnis wären die Huberbuam. Die beiden Klone waren ebenfalls auf den Watzmann gestiegen. Allerdings waren sie nicht wie wir hinaufgestiefelt, sondern durch die knapp zweitausend Meter hohe Ostwand geklettert. Für die beiden ein Klacks, schließlich verbrachten sie ihre Zeit in den Bergen gern auch mal damit, in 48 Stunden so viele Dreitausender wie möglich zu besteigen, gefrorene Wasserfälle zu erklettern oder zu bouldern.
»Kannst überhaupt Schafkopfen?«
Ich zögerte: »Ist doch so ähnlich wie Doppelkopf, oder?«
Max verglich meine Intelligenz mit der einer Parkuhr und klärte mich auf, dass Schafkopf die »Mutter aller Kartenspiele« sei. Aber es würde mit mir schon gehen. Vielleicht hätte ich Max sagen sollen, dass ich das letzte Mal als Kind im Ferienlager Karten gespielt hatte. Ein doppelkopfsüchtiger Betreuer hatte uns damals Abend für Abend das Spiel beigebracht. Außerdem war ich das französische Blatt gewohnt. Ich tat mich mit dem deutschen Blatt, das jetzt auf dem Tisch lag, entsprechend schwer. Trotz der kurzen Regelkunde durch Max vermischte ich ständig Doppelkopf- mit Schafkopfregeln. Nachdem Max und ich mal wieder in den Schneider gespielt wurden, hielt er es nicht mehr aus.
»Ich hab ja schon mit vielen Deppen zusammengespielt, aber du …« Wie alle Bayern pflegte auch Max eine sehr innige Beziehung zu Schimpfwörtern. Ich hatte es schon oft genug im Büro erlebt. Auch die Kollegen legten, was Schimpfwörter anging, eine verblüffende Großzügigkeit an den Tag. Depp hier, Depp da … im Grunde genommen schien die ganze Welt nur aus Deppen zu bestehen. Einer erzählt von einer Hochzeit, auf der sich der Bräutigam aufs Kleid der Braut erbricht. Großes Gelächter, so ein Depp. Die Nordic Walker im Englischen Garten? Alles Deppen. Der Münchner Rechtsanwalt, der eine Disco wegen Diskriminierung verklagt, weil er an der Tür abgewiesen worden war. Ein armer Depp. Mario Gomez, der es mal wieder geschafft hatte, den Ball aus einem Meter Entfernung am Tor vorbeizulegen. Klarer Deppenfall. Doch auch untereinander bescheinigten sich die Kollegen gern und aufrichtig, nicht ganz dicht in der Birne zu sein. Merkwürdigerweise führte dies jedoch weder zu Zwietracht noch zu Streit unter den Kollegen. Nein, das locker
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