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Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Titel: Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wiechmann
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hatte ich gelernt, bestimmte das Angebot den Preis. So weit, so gut. Doch in München erlebte ich, wie spannend Marktwirtschaft werden kann, wenn es überhaupt kein Angebot gibt. Der Horror, von dem alle immer erzählten, war nicht nur Wirklichkeit geworden, sondern hatte die schlimmsten Such- und Fluchgeschichten bei Weitem übertroffen. Oder wie man in Bayern zu sagen pflegt: »Hinterher is ma immer g’scheiter, wia ma’s vorher bessa macha hätt soin.«
    Bereits nach den ersten drei Wohnungsbesichtigungen hatte ich gemerkt, dass es nicht ganz so laufen würde, wie ich mir das gedacht hatte. Zehn, vielleicht zwölf Wohnungen hatte ich mir in einer Woche anschauen wollen. Und unter denen waren sicher drei oder vier, die mir gefallen würden und von denen ich dann eine auswählen konnte. So weit, so schlecht. Denn wer in München nicht in der Lage ist, Fantasiemieten von über zweitausend Euro zu bezahlen, der wählt sich keine Wohnung aus, sondern er wird für die Wohnung ausgewählt. Von einem Makler.
    Die Wohnungsvergabe läuft in München für den gemeinen Wohnungssuchenden immer nach dem gleichen, demütigenden und nervlich extrem belastenden Ritual ab: Man meldet sich auf eine Annonce für eine Wohnung, deren Miete viel zu hoch, aber gerade noch bezahlbar ist, und wird wie fünfzig oder sechzig andere Interessenten zu einem Besichtigungstermin geladen. Gäbe es Musik und Bier, und statt der vielen ernsten auch mal ein paar fröhliche Gesichter, könnte man so eine Massenbesichtigung glatt mit einer guten Party verwechseln. Doch die Wohnungssuche in München ist und bleibt eine todernste Angelegenheit. Es soll Menschen geben, die zwei, drei Jahre nach der richtigen Wohnung suchen. Ein Luxus, den sich natürlich nur leisten kann, wer schon eine Bleibe in der Stadt gefunden hat. Alle anderen, wie ich, müssen nehmen, was sie kriegen. Das Erste, was ich mir daher abgewöhnte, war, kein Interesse für eine Wohnung zu haben, selbst dann, wenn sie den Charme eines eiternden Furunkels verströmte und eigentlich nur unter der Bezeichnung »Wohnklo« hätte firmieren dürfen. Das Zweite, worauf ich versuchen musste hinzuarbeiten, war, einen Eindruck beim Makler zu hinterlassen, der über die bei jedem Termin auszufüllende Selbstauskunft, in der man Gehalt und Beruf offenlegte, hinausging. Mir war gleich aufgefallen, dass bei den Besichtigungen die Quote der Frauen, die kurze Röcke trugen, auffallend hoch war. Und nach meiner fünften Wohnungsbesichtigung wusste ich, dass das kein Zufall war, sondern System hatte. Viele Männer trugen Anzug. Sie sahen so aus, als würden sie sehr viel arbeiten und die meiste Zeit ihres Lebens sowieso nicht in ihrer Wohnung, sondern im Büro verbringen. Und wenn man dort auch noch schlafen könnte, ja, dann wären sie wohl gar nicht hier… Jeder versuchte so auszusehen, als ob er ordentlich und leise wäre, das teure neue Parkett nur mit Filzpantoffeln betreten würde und enorm viel Geld hätte. Und wenn ich die Zahlen sah, die mancher bei seinem Gehalt eintrug, dann stimmte wenigstens Letzteres sogar.
    Wie die Motten das Licht umschwärmten die an der Wohnung Interessierten den Makler. Jeder lobte, wie schön die Wohnung geschnitten und wie toll sie gelegen sei, und betonte, wie sehr man sich freuen würde, die Wohnung zu bekommen. Da ich mit einem kurzen Rock bei keinem der Makler sehr weit gekommen wäre, versuchte ich dieses Manko mit Quantität wettzumachen. Statt wie ursprünglich geplant ein bis zwei Wohnungen am Tag zu besichtigen, versuchte ich mindestens fünf Termine täglich zu schaffen. Ich hatte mir ausgerechnet, dass bei fünfzig bis sechzig Interessenten die Wahrscheinlichkeit, die Wohnung zu bekommen, bei unter zwei Prozent lag. Nach nur vier Tagen war die Wohnungssuche für mich eine sehr anstrengende Arbeit geworden. Und außer Wohnungen hatte ich zudem nichts von München gesehen. Wenn ich abends ins Hotel zurückkam, hatte ich weder Lust noch Muße auszugehen, um mir die Stadt anzuschauen. Stattdessen suchte ich in Zeitungen und im Internet nach neuen Wohnungsannoncen, die ich in den kommenden Tagen abarbeiten konnte. Am fünften Tag schaffte ich mit sieben Besichtigungen in zehn Stunden einen persönlichen Rekord. Am sechsten Tag bekam ich einen Anruf von einem Makler, dass ich die Nummer zwei auf seiner Liste sei und die Wohnung haben könne, wenn sie der erste Kandidat nicht haben wolle. Der mir Unbekannte griff jedoch zu. Am siebten Tag geschah dann ein

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