Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
Wunder.
Ich hatte einen Besichtigungstermin um zehn Uhr für eine Wohnung in Haidhausen. Ich stand jedoch bereits eine halbe Stunde früher vor der Wohnung, als ein kleiner dicker Mann vor die Haustür trat, mich musterte und fragte:
»San S’ weng dera Wohnung da?«
Ich bejahte.
»Sie san aber früh dran, junger Mann!?«, meinte der Mann, der sich als Makler für die Wohnung entpuppte.
»Ich weiß, ich verschätze mich in München immer noch ein bisschen mit den Entfernungen«, entschuldigte ich mich lächelnd.
»Wo san Sie denn her?«
»Aus Berlin.«
Der Makler ging nicht weiter darauf ein, sondern befestigte neben den Klingeln einen Zettel, der darüber informierte, dass die Besichtigung im vierten Stock des Hauses stattfinden würde.
»Eigentlich wollt I no a Kaffe dringa«, wandte er sich an mich. »A, was soll’s. Kimmen S‘ doch scho mit rauf. Dann können S’ die Selbstauskunft in Ruhe ausfüllen, bevora wieder die Hölle losbricht.«
Die Wohnung war toll. Vier Zimmer, Altbau, mitten in Haidhausen gelegen, einem sehr lebendigen Viertel mit vielen Shops, Restaurants und Cafés. Das Bad war zwar renovierungsbedürftig, aber über solche Kleinigkeiten, das wusste ich mittlerweile, musste man in München trotz einer Miete von mehr als tausend Euro großzügig hinwegsehen. Was mir jedoch besonders gefiel, war die Atmosphäre der Wohnung. Hier fühlte ich mich einfach wohl und war sicher, dass die Wohnung Francesca und Oskar ebenso gefallen würde. Ordnungsgemäß füllte ich meine Selbstauskunft aus, gab sie dem Makler und nutzte die einmalige Gelegenheit, um ihn zu fragen, ob ich denn sonst noch irgendetwas Bestimmtes tun könne, was eventuell hilfreich sei, um diese Wohnung zu bekommen. Der Makler schaute mich mit großen Augen an.
»Naa, da können S’ goar nix mehr machen. Mir san hier in Bayern, und da ham die Dinge a gewisse Ordnung, wissen S’«, erwiderte er seelenruhig und begann meine Selbstauskunft zu lesen.
»Aha, Journalist san Sie? Wo arbeiten S’ denn?«
Artig nannte ich ihm den Verlag und die Redaktion.
»Ja, da schau her. Da kennen S’ doch sicher den Peter Senftlhuber!«
Und ob ich den kannte. Der Personalchef hatte mich bereits vor ihm gewarnt, bevor er mich nach einem zweiten Bewerbungsgespräch meinen zukünftigen Kollegen vorstellte. Dieses zweite Bewerbungsgespräch war eigentlich gar keines mehr gewesen, sondern eher ein Plaudern über die Firmenkultur, die Inhalte meines künftigen Arbeitsvertrages und die beiden Studiensemester des Personalers in Berlin. Anschließend drehten wir eine Runde durch den Verlag, wobei ich viele Hände schütteln durfte. Unter anderem auch die von Peter Senftlhuber. Und tatsächlich hatten unsere ersten gemeinsamen fünf Minuten gereicht, um zu erkennen, dass Peter Senftlhuber der mit Abstand unbeliebteste Mann in der Redaktion war und dass er gewillt war, alles zu unternehmen, damit sich daran auch ja nichts änderte. Die negativen Schwingungen zwischen ihm und den anderen waren förmlich greifbar.
»Ein Bärlina?!«, hatte er mich angebellt, nachdem wir uns die Hand gegeben hatten. Und gleich nachgesetzt: »So a Zuagroasta wie Sie hat uns grad noch gfehlt!« Eine Sekunde lang hatte er das erschrockene und peinliche Schweigen der Umstehenden genossen und sich dann mit den Worten: »Schließlich ham wir hier jede Menge zu tun«, elegant aus der Affäre gezogen. Und nun stand ich also vor einem mir vollkommen unbekannten Makler, der mich unsanft an diese Begegnung erinnert hatte. Ich wusste nicht recht, wie ich auf die Frage reagieren sollte. Kannte ich Peter Senftlhuber? Ja oder nein? Wenn dieser in der Vergangenheit seinen offensichtlichen Menschenhass auch an dem Makler ausgelebt hatte, konnte ich mir die Wohnung gleich abschminken. Wenn die beiden jedoch so etwas wie Freunde wären, was durchaus sein könnte, wäre es nicht schlecht, Peter Senftlhuber zu kennen. Ich beschloss, die Frage möglichst neutral zu beantworten:
»Der Herr Senfthuber? Aber ja, wir kennen uns«, sagte ich und betonte dabei das Wort »kennen« so stark, dass es einerseits bedeuten konnte, dass der Peter und ich die dicksten Freunde wären, andererseits aber auch, dass ich um die Existenz jenes Peters zwar weiß, ihn jedoch für einen ganz schlimmen Schlawiner halte.
»Wieso sogn S’ ned glei, dass Sie an Spezl vom Peter san«, tadelte mich der Makler. »Da hätn ma uns des Geschreibe ois spoarn kenna. Wissen S’, der Peter und i sind schon zusammen in die
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