Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
jetzt lieber Bier.«
Nun, die Versöhnung zwischen Berlinern und Münchnern würde wohl noch eine ganze Weile auf sich warten lassen. Die Tatsache, dass die Stadt München in bundesdeutschen Umfragen immer wieder eine sehr hohe Lebensqualität zugesprochen bekam und sogar in internationalen Vergleichen dieser Art nicht selten an Nummer eins geführt wurde, tat der ehrlichen und tief empfundenen Abneigung meiner Berliner Freunde gegenüber der heimlichen Hauptstadt Deutschlands und der bayerischen Lebensart keinerlei Abbruch. Im Gegenteil, in den kommenden Wochen wurden wir immer wieder Zeugen, wie sie sich allerlei Mühe gaben, sich alles Bayerische so richtig schön »herzuhassen«. Sie lästerten über süßen Senf, die Großkotzigkeit des FC Bayern, fragten, ob ich jetzt auch Mitglied im Trachtenverein werden wolle und ob sie mir vielleicht eine Tuba zum Abschied schenken sollten, damit ich in Bayern, so wie alle dort, in einer Blaskapelle mitmachen könne. Mit der Zeit nervten mich die Anspielungen, auch wenn Francesca mir zu erklären versuchte, dass sie mich mit ihren Foppereien eigentlich gar nicht verärgern wollten.
»Non ti preoccupare – mach dir keine Gedanken. Die Neckereien sind ihre Art, dir zu sagen, dass sie traurig sind, dass wir weggehen.«
»Aber warum sagen sie dann nicht einfach, dass sie traurig sind?«
»Na, dit sollteste aba selba am besten wissen, wa!«, äffte Francesca den schnoddrigen Berliner Dialekt nach, den sie noch nie hatte ausstehen können. »Du weißt doch ganz genau, dass ihr Berliner Probleme damit habt, eure Gefühle auszudrücken. Stattdessen versteckt ihr euch hinter eurer berühmten Berliner Schnauze.«
»Aber was ist, wenn sie recht haben? Ich bin nun mal ein Berliner. Berliner hassen Bayern. Das ist nun mal so.«
Francesca lachte mich an und sagte: »Wie kannst du etwas hassen, das du nicht kennst?«
Wenn Francesca mit einer Sache recht hatte, dann war das schon schlimm genug. Ihre Fähigkeit, mit einem einzigen Satz ein Problem in Luft aufzulösen, versetzte mich jedoch immer wieder in Staunen.
»Lernst du so was in den Frauenmagazinen, die du immer liest? Manchmal bist du mir ein bisschen unheimlich.«
Tatsächlich war Bayern mir vollkommen fremd. Unsere Urlaube hatten uns meist nach Italien geführt. Oder ans Meer nach Griechenland und in die Türkei. Für den Gedanken, in Bayern Urlaub zu machen, waren wir wahrscheinlich noch nicht alt genug gewesen. Und ehrlich gesagt, hatte mich Bayern auch nie sonderlich interessiert. Alles, was ich über Bayern wusste, stammte entweder aus Büchern oder Fernsehserien à la »Der Bulle von Tölz«. Doch nun würden München und Bayern unser neues Zuhause sein. Wie kann ich etwas hassen, das ich nicht kenne?
Berliner Schnauze hin, Bayernhass her. Meine Freunde hatten es geschafft, dass ich trotz Francescas Zuspruch zweifelte. Plötzlich sah ich unserem Umzug nicht mehr nur mit Erleichterung entgegen. Was, wenn meine Freunde am Ende recht hatten? Was, wenn es tatsächlich ein Fehler war, ausgerechnet nach Bayern zu ziehen? Dass München sehr viel kleiner und sehr viel ruhiger war als Berlin, war mir bei meinen Bewerbungsgesprächen ebenso aufgefallen wie die Tatsache, dass die Menschen dort anders tickten als die Berliner. Und dann war da ja auch noch die Geschichte mit der Wohnungssuche, die ich sorgfältig für mich behalten hatte. Die Lacher, für die dieses Erlebnis bei meinen Freunden garantiert gesorgt hätte, wollte ich mir ersparen.
3. Kapitel: In welchem sich die Such- und Fluchgeschichten über den Münchner Wohnungsmarkt leider bewahrheiten und sich eine flüchtige Bekanntschaft als äußerst vorteilhaft erweist
Horrorgeschichten über die Wohnungssuche in München sind Legion. Und mein erster großer Fehler bei unserem Umzug war, dass ich diese Horrorgeschichten als Legende abtat, die sich in der Realität als unterhaltsam-gruseliger Small Talk entpuppen würde. In meiner Naivität hatte ich das Angebot des Verlages, mir bei der Wohnungssuche zu helfen, dankend abgelehnt und war knapp zwei Monate vor unserem Umzug für eine Woche nach München gefahren, um die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Bei der Gelegenheit, dachte ich mir, würde ich nicht nur in aller Ruhe nach einer passenden Bleibe Ausschau halten, sondern auch gleich ein bisschen was von der Stadt kennenlernen, die schon bald unsere neue Heimat werden sollte. Nach drei Tagen war es allerdings mit meiner Ruhe vorbei. In der Marktwirtschaft, so
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