Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
blauen Bademantel übergeworfen, der genau wie Naddel Abd El Faragh schon bessere Zeiten erlebt hatte und jetzt etwas abgegriffen aussah.
»Gehn S’ nauf und rufen S’, wenn der Strom wieder geht«, bellte mich Georg Rieger an und machte sich auf den Weg in den Keller. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Drei Minuten später konnte Francesca ihre Haare trocken föhnen. Sie summte dabei ein Lied. Ich dagegen dachte an große weite Unterhosen mit roten Punkten und daran, dass ich Georg Rieger noch Bescheid sagen musste, dass der Strom wieder geht. Ich machte mich auf den Weg nach unten.
Georg Rieger kam gerade aus dem Keller gestapft.
»Danke!«, sagte ich. »Funktioniert alles wieder einwandfrei. Entschuldigen Sie bitte noch mal die Störung.«
Ich erwartete ein typisches Brummen oder Knurren als Antwort. Doch es blieb aus. Stattdessen hörte ich Georg Rieger sagen: »Trinkan S’ a Bier mit? I kann eh noch net schlafen. Wenn S’ mögen, zeig ich Eana ein paar von meinen schönsten Jagd-trophäen.«
Es gibt immer wieder Momente in meinem Leben, in denen ich mir wünsche, kein so höflicher Mensch zu sein, sondern einfach auch einmal Nein zu sagen, wenn mir danach ist. Diesmal, das spürte ich, war es fast schon so weit. Doch dann obsiegte doch wieder das sittsame Prinzip, eine Einladung nicht einfach so abzuschlagen, um mein Gegenüber nicht vor den Kopf zu stoßen. Also machte ich einen kurzen Mach-dir-keine-Sorgen-Anruf bei Francesca und schickte mich an, Georg Rieger in seine Wohnung zu folgen.
»Aber nur ein Bier!«, sagte ich im bestimmten Ton.
»Ah, geh«, grummelte Georg Rieger zurück und wischte mit der Hand durch die Luft, als würde eine summende Fliege um seine Nase herumschwirren.
In der Wohnung von Georg Rieger roch es muffig. Er liebte es dunkel. An den Wänden klebte eine dunkelgrüne Tapete. Überall standen schwere Holzmöbel. Vor den Gardinen an den Fenstern hingen halbdurchsichtige Vorhänge. In dieser Wohnung musste es am Tag nicht viel heller sein als jetzt. Was mich irritierte, waren die vielen Bilder an den Wänden. Ich hätte einen Eberkopf oder das ein oder andere Hirschgeweih erwartet. Aber abgesehen von einem kleinen im Flur, welches als Schlüsselgarderobe fungierte – gab es die nicht. Stattdessen Bilder. Sie zeigten Rehe, Hirsche, Wildschweine oder einfach Naturszenen. Nebel, der zwischen den Bäumen oder über einer Lichtung hing.
»Schöne Bilder!«, sagte ich, als Georg Rieger mit zwei Flaschen Bier aus der Küche wiederkam.
»Da san ein paar gute Schüsse dabei, gell? Nehmen S’ doch Platz, ich hol uns mein Album.«
Ich kam mir vor wie bei meiner Mutter, die auch nie eine Gelegenheit ausließ, fremden Menschen die Bilder aus unserem Fotoalbum aufzudrängen. Bevorzugt die Aufnahmen, welche mich als Kind nackt, in extrem schrillen Klamotten oder schreiend vor meinem Bruder davonlaufend zeigten, weil dieser eine Farbwasserbombe in der Hand hielt, mit der er meine Haare grün färben wollte. Gott sei Dank war das Album von Georg Rieger frei von privaten Nacktaufnahmen. Stattdessen fanden sich darin wie im Wohnzimmer Tier- und Naturaufnahmen.
»Die hab i alle auf der Jagd g’macht!«
»Das heißt, Sie schießen erst ein Foto und dann das Tier ab?«, fragte ich neugierig.
»Ah gell, i jag die Viecha scho lang nur no mit der Kamera.«
Anschließend hielt er mir einen ziemlich langen Vortrag über Verschluss- und Belichtungszeiten. Zeigte mir seine Kameras und einige mächtige Teleobjektive. Besonders gefiel mir in seinem Album eine Serie mit zwei putzigen Eichhörnchen.
»Die Bilder mit den Eichhörnchen gefallen mir am besten.«
»Was? Des san koa Eichhörnchen. Des san Oachkatzl.« Georg Rieger schaute mich empört an.
»Aha? Sind das etwa mexikanische Eichhörnchen?«
»Rauchen Sie etwa auch das Zeug, was man bei der Pschierer immer im Hausflur riechen kann?«
»Nein, ich bin absoluter Nichtraucher. Ich schwöre! Nur klingt für mich das Wort …« Ich versuchte, das Wort »Oachkatzl« auszusprechen, ohne mir dabei die Zunge zu brechen, brachte aber nur ein Krächzen heraus. »Für mich klingt dieses Wort sehr mexikanisch.«
»Na, des geht fei ned. I lass Sie erst wieder gehen, bis Sie ›Oachkatzl‹ wie ein echter Bayer aussprechen können. Warten S’, i hol uns an Schnaps. Damit krieg’n wir Ihre Zunge schon locker.«
Wieso um alles in der Welt hatte ich vorhin nicht die Kraft aufgebracht, Nein zu sagen? Und wieso hatte in dieser Stadt offensichtlich
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