Schleichendes Gift
Viertelmeile die Straße hinunter zu einem chinesischen Restaurant geführt, in dem er gern zu Mittag aß. Der Wirt hatte sie mit offenen Armen und einer Lawine von gratis servierten Dim-Sum-Häppchen empfangen. Das einzige Problem war, dass niemand wusste, wo sie waren. Schließlich gelang es Carol, eine Nummer von einem Empfangsmitarbeiter des VIP-Bereichs zu erfahren und sie aufzuspüren.
Es dauerte weitere zwanzig Minuten, um zumindest die Grundstruktur des Geschehens zu rekonstruieren. Carol ließ Chris die vertiefenden Aussagen aufnehmen, während sie ins Stadion zurückkehrte und auf dem Weg schnell zwei Anrufe erledigte. Selbst in der kurzen Zeit ihrer Abwesenheit hatten sich die Dinge schon weiterentwickelt. Die Straßen um das Stadion herum waren nicht mehr so verstopft, und dass es so blieb, dafür sorgte die berittene Abteilung. Zwei Tieflader entfernten Autos aus der unmittelbaren Nachbarschaft des Stadions, um für die Notfahrzeuge Platz zu schaffen. Und mitten auf dem Parkplatz der Vestey-Tribüne stand der größte Wohnwagen, den Carol je gesehen hatte. Der weiße Anhänger sah aus wie ein umgebauter Container und hatte an den Seiten zwei Reihen undurchsichtiger Fenster. Außer einem schwarz-weißen Karostreifen wie das Band einer Polizeimütze gab es keine Kennzeichnung. Zu beiden Seiten einer Tür am Ende des Anhängers standen zwei schwarzgekleidete Polizisten in Schutzausrüstung und Helmen mit halbautomatischen Pistolen. Die Kavallerie war also eingetroffen. Carol ging auf sie zu.
Als sie näher kam, bewegten sich die beiden und richteten ihre Waffen auf sie. Jetzt geht’s los. Schläger und Soziopathen mit Borderline-Syndrom, die sich als Retter verkleidet haben . Sie deutete auf ihren Ausweis. »Detective Chief Inspector Carol Jordan. Leiterin des Bradfield-Metropolitan-Police-Sondereinsatzteams. Ich muss mit demjenigen sprechen, der hier das Kommando hat.«
Einer von ihnen wandte sich ab und murmelte etwas in sein Funkgerät. Der scharfe, düstere Blick des anderen hellte sich keinen Moment auf. Carol behauptete ihre Stellung und rief sich ins Gedächtnis, dass es hier nicht um sie, sondern um die Verwundeten, die Sterbenden und die Toten ging. Werd bloß nicht wütend. Gib ihnen keinen Vorwand, dich noch weiter ins Abseits zu drängen. Das hier ist dein Territorium, du kannst etwas beitragen. Lass nicht zu, dass sie dich von deiner Arbeit fernhalten.
Der mit dem Funkgerät drehte sich wieder um, kam näher und verglich ihr Gesicht mit ihrem Ausweis. »Ein paar graue Haare und ein paar Falten mehr«, sagte sie. In der Miene des knallharten Kerls regte sich nichts. Er fasste nach der Türklinke hinter sich, riss die Tür auf und winkte sie mit seiner Waffe hinein. Carol biss sich irritiert auf die Lippen, widerstand aber der Versuchung, verwundert den Kopf zu schütteln, und folgte seiner Anweisung.
Sie kam in einen Eingangsbereich mit niedriger Decke. Eine schmale Treppe führte nach oben. Ihr gegenüber lagen zwei Türen, und zwei weitere Polizisten in Schwarz waren hier postiert. Einer stand am Fuß der Treppe und der andere zwischen den Türen. Der an der Treppe trat zur Seite und sagte: »Nach oben, Ma’am.«
Carol erstieg mit dem Gefühl, in einem billigen Spionagefilm gelandet zu sein, die Treppe, wobei jeder Schritt ein hohles Geräusch machte. Noch ein Vorraum, wieder ein Wachmann, der sie mit einem Nicken eine weitere Tür passieren ließ. Sie trat in einen spartanisch eingerichteten Konferenzraum, der mit einem Tisch aus einer Metallplatte auf Holzböcken und acht Klappstühlen eingerichtet war. John Brandon saß auf einem davon, drei andere waren von Männern in schwarzen T-Shirts und schwarzen Lederjacken besetzt. Zwei hatten nur einen blassen Schatten von Haarstoppeln auf den Schädeln, der dritte einen kurzen Flaum dunkler Haare. Auf den ersten Blick ließen sie sich nur durch ihre unterschiedlich weit fortgeschrittene Glatze unterscheiden, die sich zwischen den Haarstoppeln abzeichnete.
Der in der Mitte sagte: »Danke, dass Sie dazukommen, DCI Jordan, nehmen Sie Platz.«
»Hallo, Sir«, begrüßte Carol Brandon, während sie sich neben ihn setzte. Sie wandte sich an den, der ihr gegenübersaß. »Und Sie sind …?«
Er lächelte, was aber seine sorgfältig gepflegte bedrohliche Ausstrahlung nicht minderte. »Wir benutzen keine Namen und Dienstgrade. Aus Sicherheitsgründen. Sie können mich … David nennen.«
»Sicherheit? Ich bin Detective Chief Inspector. Ich
Weitere Kostenlose Bücher