Schleichendes Gift
Trainingshosen und große, klobige Laufschuhe. Jeder hielt eine Dose Stella Artois in der Hand, und die Luft war dick vor lauter Zigarettenrauch. So ein sportliches Leben , dachte Paula und suchte sich einen Weg über ausgestreckte Beine zum anderen Ende des Raums, wo ein wackliger Esstisch mit vier zerbrechlichen Stühlen stand.
»Ich werde ’n Fernglas brauchen, wenn ich das Spiel von hier aus sehen soll«, beklagte sich Mottishead und kratzte sich am Bauch, während er sich auf einem Stuhl niederließ, der – so vermutete Paula – sein Gewicht nicht tragen würde. Mottishead knallte seine Dose auf den Tisch und nahm seine Zigaretten aus der Tasche. »Ich nehme an, Sie dürfen im Dienst kein Bier trinken?« Er zündete sich eine Zigarette an, was bei Paula den Wunsch auslöste, auch zu rauchen. Aber sie bemühte sich, es bei Befragungen zu unterlassen, selbst wenn der Gesprächspartner rauchte, denn sie befürchtete, dadurch schwach und abhängig zu wirken.
»Danke, nein. Ich bin überrascht, dass gespielt wird nach dem, was gestern war«, sagte Paula.
»So ist Fußball eben, Schätzchen«, antwortete einer der anderen. »Eine Haltung wie im Krieg während der Bombenangriffe. Das hat dieses Land groß gemacht. Zwei Minuten Schweigen, dann muss die Show weitergehen. Kein verdammter Paki-Bomber wird unser Nationalspiel aufhalten können.«
»Er meint es nicht so«, versicherte Mottishead. »Wir sind nur alle fassungslos über das, was gestern passiert ist. Wir waren nämlich dort.«
»Ja, waren wir«, bestätigte sein Kamerad mit der großen Klappe. »Warum sind Sie nicht da draußen und suchen die Kumpels von dem Scheiß-Bombenleger, statt Stevie zu stören?«
»Weil ich zu viel damit zu tun habe, den zu finden, der Robbie Bishop umgebracht hat«, erwiderte Paula. »Ich dachte eigentlich, das würde Ihnen recht sein.« Ihr Gegner räusperte sich und vertiefte sich demonstrativ in das Spiel. Paula wandte sich erneut an Mottishead. »Ich bin dankbar für das, was Sie uns schon mitgeteilt haben. Und es hat uns sehr geholfen. Aber ich möchte, dass Sie mir beschreiben, wie Jack Anderson war. Nicht die Fakten seines Lebens, sondern seine Persönlichkeit. Was für ein Mensch er war.«
Mottishead kratzte sich an seinem stoppeligen Kopf und grinste. »Er war immer für allerhand gut, der Jack. Nachdem sein Dad gestorben ist, war es, als wäre er ein bisschen durchgeknallt. Als wollte er alles noch schnell in sein Leben reinquetschen, bevor er sterben würde. Mit den Mädels war er schockierend. Wenn sie nicht mit ihm schliefen, ließ er sie fallen wie eine heiße Kartoffel. Und wenn sie sich mit ihm einließen, dann wurde es ihm nach ein paar Wochen langweilig, und er machte wieder Schluss. Ich hab gehört, dass er sich für alles Mögliche interessierte – flotte Dreier, Fesselspiele –, was auch immer, er probierte es aus. Und wenn er es mochte, dann machte er es öfter. Trinken, Rauchen, Drogen – er musste immer der Erste sein, etwas zu versuchen, das gerade die Runde machte. Es war, als hätten die Bremsen versagt, nachdem sein Vater gestorben war, und auch später funktionierten sie dann nie wieder.«
Das klang nach einem Egomanen, dachte Paula. Der Kerl hatte Glück gehabt, dass sich ihre Pfade nie gekreuzt hatten. »Hat niemand versucht, ihm einen Dämpfer zu verpassen? Seine Mum? Oder Lehrer?«
Mottishead schob die Lippen vor und schüttelte den Kopf. »Seine Mum war die meiste Zeit mit sich selbst beschäftigt. Jetzt im Rückblick glaube ich, dass sie Valium wie Smarties eingeworfen hat. Und die Lehrer hatten kein Interesse an etwas, was außerhalb des Klassenzimmers vor sich ging. Jack war zu clever, um seine Leistungen in der Schule vor die Hunde gehen zu lassen. Er wusste, der sicherste Weg, Bradfield hinter sich zu lassen, war, sich Qualifikationen anzueignen. Und er wollte weg.«
»Hat er jemals erzählt, wie er es schaffen wollte, hier rauszukommen? Dachte er an eine Karriere?«
»Er sprach nie davon, womit er seinen Unterhalt verdienen wollte. Er sagte immer, er würde raketenmäßig abheben. Er würde uns alle hinter sich lassen und es nach ganz oben schaffen.« Mottisheads Stirn schlug Falten, so sehr strengte er sich an, um sich zu erinnern. »Einmal, meine ich, sprachen wir in Sozialkunde über Ehrgeiz. Und der Lehrer redete lang und breit über diesen Tory, wie hieß er noch mal? Manche nannten ihn Tarzan …«
»Michael Heseltine?«
»Genau der. Also anscheinend hat der sich
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