Schleichendes Gift
dass Sie kommen würden.« Ihm war klar, dass es nicht als Vorwurf gemeint war, aber es hörte sich so an.
»Ich bin dort fast durchgedreht«, sagte er. »Und außerdem gehöre ich in einer solchen Zeit hierher.«
»Es ist schön, Sie wieder hierzuhaben«, erwiderte sie so mechanisch wie eine sprechende Puppe. »Wie geht es Ihrem Knie?«
»Es ist wahnsinnig unangenehm. Manchmal tut es sehr weh. Aber zumindest kann ich mit dieser Schiene und den Krücken gehen. Aber ich sollte nicht ständig an das Bein denken, und deshalb bin ich hier. Wissen Sie, wann DCI Jordan zurück sein wird?«
»Sie ist in einer Besprechung mit dem Chief Constable«, erklärte Stacey, schon wieder auf den Bildschirm starrend, denn an dem Geschehen dort war sie viel interessierter als an ihm. »Sie ist vor etwa zwanzig Minuten weggegangen und hat nicht gesagt, wann sie zurück sein würde.«
»Gut, dann warte ich. Ich muss wegen Yousef Aziz mit ihr sprechen.«
Stacey blickte kurz zu ihm hinüber. »Sie arbeiten an dem Bombenanschlag?«
»Und den anderen Sachen. Woran arbeiten Sie?«
Stacey lächelte zufrieden wie die Zeichentrickkatze, die einem Hund gerade etwas Schreckliches angetan hat. »Ich würde jetzt lieber nicht erzählen, wie ich’s gemacht habe, aber ich habe alle Daten aus dem Computer von First Fabrics.«
»First Fabrics?«
»Das Textilunternehmen von Yousef Aziz’ Familie. Ich habe die ganze Korrespondenz ausgedruckt und dann Sam aufgetragen, er solle sie in einer stillen Ecke lesen. Er kann die zwischenmenschlichen Dinge besser herauslesen als ich«, meinte sie.
»War das jetzt gerade ein Witz über Sie selbst?«, fragte Tony.
Sie warf ihm mit funkelnden Augen einen schnellen Blick zu. »Ich mag ja ein Cyborg sein, aber trotzdem habe ich Humor.«
Tony quittierte ihre Antwort, indem er scherzhaft salutierte. »Was sehen Sie sich gerade an?«
»Die Finanzen.«
»Und?«
»Es ist vor allem unheimlich langweilig. Sie kaufen Textilien von einem halben Dutzend Zulieferern und verkaufen fertige Kleidungsstücke an zwei Zwischenhändler weiter.«
»Zwischenhändler? Das verstehe ich nicht.«
Stacey nahm die Hand von der Maus. »Textilhandel mit vielen Partnern. Am Ende der Kette steht der Einzelhändler. Sie haben Lieferfirmen, die eigentlich Großhändler sind. Der Einzelhändler sagt dem Großhändler, was er kaufen will und welchen Preis zu zahlen er bereit ist. Der Großhändler geht zum Zwischenhändler und gibt die Bestellung auf. Der Zwischenhändler verteilt die Bestellung an die Hersteller. Die nicht unbedingt hier im Land sein müssen. Oder die vielleicht in illegalen Ausbeuterbetrieben fertigen. Manche legalen Produzenten wie First Fabrics stellen auch ihre eigenen Muster her, für die sie Bestellungen zu bekommen versuchen.«
»Es kommt einem … sehr kompliziert vor?«
»Das sollte man meinen, oder? Aber anscheinend funktioniert es so. Und bei jedem Schritt können Profite gemacht werden. Wenn Sie ein Hemd in einem Geschäft für fünfundzwanzig Pfund kaufen, dann ist es gut möglich, dass der Hersteller nicht mehr als fünfzig Pence bekommen hat. Also müssen die Leute an den Maschinen viele Hemden herstellen, damit ihre Chefs ihren Betrieb weiterführen können.«
»Sind Sie nicht froh, dass Sie etwas gelernt haben, mit dem man mehr verdienen kann als mit Hemdennähen?«, meinte Tony seufzend.
»Und ob! Jedenfalls, wie gesagt, das ist das Tätigkeitsfeld von First Fabrics. Stoffe kaufen, Kleidung herstellen. Kleidung an einen von zwei Zwischenhändlern verkaufen. Zumindest haben sie das bis vor etwa sechs Monaten getan.«
Tony wurde aufmerksamer. Alles, was mit Yousef Aziz vor sechs Monaten zu tun hatte, interessierte ihn sehr. »Was geschah da?«
»Eine bestimmte Firma taucht in den Büchern auf. Sie heißt B&R. Sie zahlt pro Stück mehr als die Zwischenhändler. Nach dem, was ich herausfinden konnte, liegt der Preis, den B&R an First Fabrics zahlt, etwa in der Mitte zwischen dem, was ein Zwischenhändler, und dem, was ein Großhändler dem Zwischenhändler zahlen würde.«
»Und das fing vor sechs Monaten an?«
Stacey klickte mit der Maus, und etwas Neues erschien auf dem Bildschirm. Sie drehte den Monitor in Tonys Richtung. »Hier.« Sie zeigte auf einen Eintrag in der Buchhaltung. »Da taucht die Firma zum ersten Mal auf.«
»Wer ist das also – B&R?«, fragte er.
Stacey schnalzte mit der Zunge. »Ich habe keinen Zugriff auf die Datenbank des Handelsregisters, und am Sonntag bekommt man
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