Schleichendes Gift
Elinor.
Denby fuhr sich mit den Handflächen übers Gesicht. Sie hatte ihn noch nie so verwirrt, schon gar nicht so aufgeregt gesehen. »Eins nach dem anderen. Wir müssen überprüfen, ob Sie recht haben oder nicht.« Er sah sie erwartungsvoll an.
»Sie können einen ELISA-Test auf Rizin machen. Aber selbst wenn die das richtige Antigen dahaben und den Test beschleunigen, werden wir die Ergebnisse eines Sandwich-ELISA nicht vor morgen erhalten.«
Er holte tief Luft und riss sich offenkundig zusammen. »Setzen Sie alles in Bewegung. Bringen Sie die Blutprobe selbst hin, direkt ins Labor. Ich rufe vorher an, um sicherzugehen, dass sie dort wissen, was auf sie zukommt. Wir können mit der Behandlung anfangen …« Er hielt plötzlich mit offenem Mund inne. »Oh, Mist.« Einen Augenblick wurden seine Augen schmal. »Es gibt keine Therapie, oder?«
Elinor schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn ich mich nicht irre, ist Robbie Bishop verloren.«
Denby ließ sich auf seinen Stuhl zurückfallen. »Ja. Also, ich meine, wir brauchen diese Möglichkeit jetzt noch niemandem mitzuteilen. Nicht, bis wir es mit Sicherheit wissen. Sagen Sie niemandem, was Sie vermuten.«
»Aber …« Elinor runzelte die Stirn.
»Aber was?«
»Sollten wir nicht die Polizei benachrichtigen?«
»Die Polizei? Sie sagten doch, dass es nicht unser Problem sei herauszufinden, auf welche Weise er Rizin aufgenommen hat. Wir können die Polizei nicht auf einen reinen Verdacht hin einschalten.«
»Aber er hat noch lichte Augenblicke. Er kann sich noch verständlich machen. Wenn wir bis morgen warten, könnte er in ein Koma gefallen sein und wird niemandem mehr sagen können, wie es passiert ist. Wenn es passiert ist«, fügte sie hinzu, als sie Denbys drohenden Gesichtsausdruck sah.
»Und wenn Sie unrecht haben? Wenn sich herausstellt, dass es etwas ganz anderes ist? Diese Abteilung hätte innerhalb des Hauses und der Fachwelt alle Glaubwürdigkeit verloren. Machen wir uns doch nichts vor, Dr. Blessing, zwei Minuten nachdem wir die Polizei einschalten, werden die Medien es hinausposaunen. Ich bin nicht bereit, meinen Ruf und den meines Teams auf diese Weise aufs Spiel zu setzen. Es tut mir leid. Wir sagen es niemandem, keiner Menschenseele, bis wir die ELISA-Ergebnisse haben und es sicher wissen. Ist das klar?«
Elinor seufzte. »Es ist klar.« Dann hellte sich ihr Gesicht auf. »Und wenn ich ihn fragen würde? Unter vier Augen?«
Denby schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall«, erklärte er bestimmt. »Ich werde nicht zulassen, dass Sie einen Patienten so verhören.«
»Es ist etwa so wie bei einer Anamnese.«
»Es ist gar nicht wie eine Anamnese. Es ist ein verdammtes Miss-Marple-Spiel. Also bitte, lassen Sie uns nicht weiter unsere Zeit verschwenden. Bringen Sie die ELISA-Untersuchung in Gang.« Es gelang ihm, ein schwaches, mattes Lächeln aufzusetzen. »Guter Einfall, Dr. Blessing. Wollen wir dieses eine Mal hoffen, dass Sie unrecht haben. Von allem anderen abgesehen, hat Bradfield Victoria keine Chance, es ohne Robbie Bishop in der nächsten Saison in die Europameisterschaft zu schaffen.« Der Schock war Elinors Gesicht wohl anzusehen, denn er rollte die Augen und sagte: »Ich mein’s doch nicht ernst, um Gottes willen. Ich mache mir wegen der Sache genauso große Sorgen wie Sie.«
Aber irgendwie hatte Elinor ihre Zweifel daran.
Tony schreckte mit aufgerissenen Augen aus dem Schlaf hoch, den Mund zu einem lautlosen Schrei geöffnet. Die Fähigkeit der Morphiumträume, den Glanz der Axt, den Schlachtruf des Angreifers, den Schweißgeruch und den Blutgeschmack von neuem zu erschaffen, war erschreckend. Sein Atem ging schnell und flach, und er spürte den Schweiß auf der Oberlippe. Es war nur ein Traum . Vorsichtig brachte er seinen Atem unter Kontrolle, und allmählich legte sich die Panik.
Als er sich beruhigt hatte, versuchte er, sein verwundetes Bein von der Hüfte her zu heben. Er ballte die Hände zu Fäusten, bis die Nägel in die Handflächen schnitten. Die Venen an seinem Hals schwollen an, als er mit großer Anstrengung ein Glied rühren wollte, das sich in Blei verwandelt zu haben schien. Sinnlose Sekunden verstrichen, dann gab er mit einem frustrierten Seufzer auf. Er fühlte sich, als werde er sein linkes Bein nie mehr bewegen können.
Tony fuhr mit der Fernbedienung des Bettes das Kopfteil hoch und setzte sich langsam auf. Er sah auf seine Uhr. Noch eine halbe Stunde bis zum Abendessen. Nach Essen war ihm zwar nicht
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